Bangkok Tattoo
näher, vielleicht sogar erwachsener.
Mitch Turner ruft sie am nächsten Tag gegen drei Uhr nachmittags an, als das ganze Land sich im Ausnahmezustand befindet. Er spielt die Rolle des verantwortungsbewußten Profis, der er im Büro ist.
»Du mußt weg hier.« Er weiß natürlich, daß sie eine illegale Einwanderin ist, hat ihre Daten mit Hilfe der CIA-Computer überprüft, vielleicht sogar bei seinen thailändischen Kontakten nachgefragt. »Ich habe keine Ahnung, wo das enden wird, aber eins steht fest: Wer einen Paß aus irgendeinem Land östlich von Berlin hat, wird auf Herz und Nieren durchleuchtet. Es ist bereits die Rede von Haft ohne Verhandlung. Du könntest da in etwas hineingeraten, was dir möglicherweise Jahre deines Lebens raubt.«
Das muß er ihr nicht zweimal sagen. Sobald der Flugverkehr wiederaufgenommen ist, setzt sie sich in eine Maschine. Am zweiundzwanzigsten desselben Monats befindet sie sich bereits in ihrem Heimatort in der Nähe von Surin an der kambodschanischen Grenze. Der erste Luxus, den sie sich leistet, ist ein Flachbildfernseher von Sony, auf dem immer wieder die Bilder der in die Twin Towers krachenden 747er zu sehen sind.
Dies ist das Ende von Chanyas Tagebuch, farang.
FÜNF
Al-Qaida
27
Es ist früher Nachmittag, als ich den Club öffne. Am liebsten würde ich Lek sofort nach seinem Abend mit Fatima fragen, aber zuerst muß ich mich mit Nong über Chanyas Tagebuch unterhalten.
Sobald ich die Lichter angeschaltet habe, begrüße ich unsere Buddhastatue mit einem wai. Das Wichtigste hier in der Bar ist ein ausreichender Vorrat an Bier und anderen Drinks. Die meisten Kunden trinken Kloster, Singha oder Heineken, und die Mädchen verdienen sich die Hälfte ihres Geldes mit Cocktails, was meine Mutter selbstverständlich berücksichtigt. Sie hat mir einen Zettel hingelegt, auf dem steht, daß ich Kloster und Tequila nachbestellen soll. Der Tequila ist kein Problem, weil wir davon im Notfall ein paar Flaschen beim Händler um die Ecke kaufen können, aber unsere Biervorräte sind bedenklich geschrumpft.
Als ich den Blick zur Buddhastatue hebe, wird mir klar, warum ich so nervös bin: Es fehlen die Ringelblumen. Also erwerbe ich draußen auf der Straße so viele Girlanden, wie ich tragen kann. (In meinem Land gibt es an jeder Ecke Stände mit solchen Buddhagirlanden – kein Wunder bei einundsechzig Millionen dem Glücksspiel Verfallenen.) Drinnen schmücke ich die Statue mit den Blumen, entzünde Räucherstäbchen, die meine Mutter unter dem Tresen aufbewahrt, verneige mich dreimal mit einem wai vor dem Buddha, stecke die Stäbchen in den für diesen Zweck vorgesehenen Sandbehälter und bete um Glück. Als ich fertig bin, trifft meine Mutter mit einem Armvoll Ringelblumen ein.
»Gestern war ich so beschäftigt, daß ich die ganz vergessen habe«, erklärt sie. Erst nach einer Weile entdeckt sie meine Girlanden. »Oh. Jetzt vergibt er uns bestimmt.«
Strahlend fragt sie: »Wie ist’s in Songai Kolok gelaufen?«
Mit verzogenem Gesicht bitte ich sie, an einem der Tische Platz zu nehmen. Dort erzähle ich ihr von dem Tagebuch, daß Chanya Mitch Turner bereits in den Staaten kannte und eine leidenschaftliche Affäre mit ihm hatte. Nong begreift sofort, was das bedeutet. »Das heißt, es gibt unter Umständen Hinweise auf sie. Die Amerikaner werden bei ihren Ermittlungen feststellen, daß er in Washington mit einer Thai zusammen war. Und obwohl sie einen falschen Paß hatte, könnten sie ihren wahren Namen rausfinden.«
»Genau.«
Ich schaue hoch zur Buddhastatue und verziehe noch einmal das Gesicht. Wie viele Ringelblumengirlanden werden nötig sein, um ihn zu besänftigen? Nong folgt meinem Blick, geht zu der Statue, entzündet ebenfalls Räucherstäbchen und verneigt sich mit einem wai, bedeutend hingebungsvoller als ich zuvor.
»Dein wai war bestimmt nicht respektvoll genug«, rügt sie mich. »Aber jetzt ist sicher wieder alles in Ordnung.«
Aus meinem Handy erklingt die Melodie von »Satisfaction«. Vikorn, der wissen möchte, wie es mir in Songai Kolok ergangen ist. »Komm sofort rüber«, weist er mich an und beendet das Gespräch.
Im für die Öffentlichkeit zugänglichen Bereich des Reviers wimmelt es wie immer von Menschen: Bettler, Nutten, Mönche, Frauen, die sich über ihre gewalttätigen Männer beklagen, Männer, die sich über ihre diebischen, verlogenen Frauen beklagen, abhanden gekommene Kinder, Verwirrte, Rücksichtslose, Arme. (Hier sind alle arm.) Der
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