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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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der Reisenden dringt.
Die seltenen Male, wenn Aja und ich mit dem Zug fuhren, warteten wir auf die
Durchsage Bellinzona, ein Ort, den es für uns nur als Namen, nur als Ansage
über Lautsprecher gab, und von dem wir nicht wussten, ob er wirklich dort lag,
wenn man ausstieg, weil wir nie nachgeschaut hatten und seine Wege nie
abgelaufen waren. Jedes Mal, wenn der Zug Bellinzona erreicht hatte, um kurz
darauf, nachdem sich die Türen geöffnet und geschlossen hatten, weiter nach
Süden in den Tag zu gleiten, wenn er mit einem Geräusch losrollte, das nur von
Zügen kommen kann, die nach Süden fahren, hatten wir das Gefühl, gerettet zu
sein, und jedes Mal, wenn wir die Durchsage Bellinzona hörten, öffnete Aja die
Augen, schaute auf das Schild über dem Bahnsteig und sagte, wir sind gerettet,
Seri. Wenn wir in Basel umsteigen mussten und unsere Koffer durch den Bahnhof
trugen, wenn wir Franken eintauschten, um an einem der kleinen Stände eine
heiße Schokolade zu trinken, wenn wir den Vorplatz unter blauem Himmel
betraten, fanden wir, es roch schon nach Süden, und Aja sagte es laut, riech
nur, der Süden springt uns an. Wenn wir uns auf die Holzbänke setzten, um über
den Fahrkartenschaltern die Schweiz auf Wandbildern zu sehen, Engadin,
Graubünden, Jungfraujoch, überfiel uns jedes Mal die Lust, zu bleiben,
dreitausend Meter über Stock und Stein hochzusteigen und diese Luft zu atmen,
aber dann nahmen wir doch den Zug, der uns weiter in den Süden brachte, weiter,
als Aja mit Évi je gekommen war.
    Es war das Jahr, in dem Aja
aufhörte, mit Tauben zu sprechen. Sie hatte den schwarzen Koffer unter dem
Bett hervorgezogen, den Zigi ihr zum achtzehnten Geburtstag überlassen hatte,
hatte ihn mit den wenigen Dingen gepackt, die ihr gehörten, und wir waren nach
Rom gefahren. Aja und ich zum ersten Mal, Karl war früher schon dort gewesen,
wenn seine Eltern im Sommer ein Haus am Strand gemietet hatten, in einem der
Küstenorte, deren steile Treppen zum Meer hinabfielen. Wenn sein Vater Lust
gehabt hatte, war er am Morgen nach dem Schwimmen nach Rom gefahren, um mit
seinen Söhnen den Staub und die Hitze zu durchwandern, um ihnen Sibyllen mit
verbundenen Augen zu zeigen und den göttlichen Finger, wie er den ersten
Menschen berührt und ins Leben holt. Er war mit ihnen durch die Foren getobt, hatte
sie in die Museen gebracht, und es war ihm gleich gewesen, wenn sie gebrüllt
und sich auf den Boden geworfen hatten, wenn ein Wärter ihnen Zeichen gegeben
und den Kopf geschüttelt hatte, wenn sie sich bespuckt und getreten und kaum
auf die Fresken geachtet hatten, auf die Farben und Faltenwürfe, in denen sich
Karls Vater stundenlang hatte verlieren können. Karl sagte, sein Vater sei
trotzdem sicher gewesen, die Figuren fänden den Weg zu ihren Augen, und am
Abend, wenn sie über Landstraßen gefahren seien, glücklich, weil sie die Stadt
hinter sich gelassen hätten und ans Meer zurückgekehrt seien, weit genug
entfernt vom Staub der Straßen, habe er geglaubt, es in ihren Gesichtern sehen
und an ihren Augen ablesen zu können, jedes Mal, wenn er in den Rückspiegel
geschaut hatte. Seitdem hatte Karl ein Bild von Rom in sich getragen, und wenn
er Rom gesagt hatte, hatte es immer schon anders geklungen, als wenn Aja und
ich es sagten, als sei es viel mehr als nur eine Stadt, als sei es etwas
darüber hinaus.
    Ich hatte die Karte für uns
hochgeworfen, so wie Évi es früher getan hatte, wenn sie und Zigi in ihrem
Wanderjahr den nächsten Ort gesucht hatten, zu dem sie aufbrechen sollten. Aja
hatte blind mit dem Finger darauf gezeigt, und wir waren erleichtert gewesen,
weil es nicht irgendeine Stadt, sondern Rom gewesen war, auf der Karte nicht
mehr als drei schwarze Buchstaben in einem gelben Feld. Vielleicht hatte Aja
nachgeholfen und die Augen in einem Augenblick geöffnet, in dem Karl und ich
nicht aufgepasst hatten, und dann mit dem Zeigefinger auf Rom gedeutet, ausgerechnet
Rom, durch das mein Vater gestreift war, wenige Tage, bevor er in der Nähe des
Neckars in einem Krankenhaus gelegen und meine Mutter hinter Scheiben aus
Milchglas auf einem Flur gewartet hatte, um dann ohne ihn nach Hause zu gehen,
mit einer Tasche in der rechten Hand, in die man sein verschwitztes Hemd mit
den Flecken von Kaffee und Viktoriatorte gesteckt hatte, und die Knöpfe, die
davon abgesprungen waren. Ausgerechnet Rom, die letzte Stadt, in die mein Vater
mit dem kleinen Koffer geflogen war, den meine Mutter noch immer im Wagen auf
dem

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