Bank, Zsuzsa
ihren
Plätzen und Kirchen, ihren Kuppeln und Türmen fassen zu können, um ihr Gefüge
zu entwirren und in ihren Straßen nicht mehr verlorenzugehen. Aja und ich
mochten es, dass die Namen endeten auf I und O, es gefiel uns, wenn sie Karl
Carlo nannten, und wir nannten ihn auch so, erst nur im Scherz, aber schnell
gewöhnten wir uns daran. Karl schien sein altes Leben zu vergessen und sich
schnell an sein neues zu gewöhnen, schon wie er über die Plätze ging, über ihr
ewiges Pflaster, und nachts an ihren Brunnen saß, wo ihn jeder für einen Römer
hätte halten können, mit dem Motorroller, den er fuhr, den hellen, schmal
geschnittenen Hemden, die er trug, und der dunklen Brille, die er über der
Stirn ins Haar geschoben hatte. Wir wussten es, wir wussten es schnell, wir
würden die Hitze in den Nächten und den kalten Steinboden unserer Küche nicht
mehr verlassen wollen, wir würden so bald nicht zurückkehren, wir würden eine
Weile bleiben. Vielleicht hatten wir es schon gewusst, als wir zum ersten Mal
den Nachtzug bestiegen und Bellinzona erreicht hatten, vielleicht hatten wir da
schon gewusst, wir würden nur noch zu Besuch nach Hause fahren und eine Weile
bleiben.
Im Herbst fing Aja an, im nahen
Krankenhaus, auf der anderen Seite des Tibers zu arbeiten, an den Tagen, an
denen sie nicht den Bus zur Hochschule nahm, und sie fand sich schnell ein,
auch wenn sie am Anfang wenig verstand und ich an den Abenden, wenn ein dicker
Mond vor unserem Küchenfenster saß, die Bücher und Hefte mit ihr durchgehen
musste. Sie lernte die wenigen Sätze, die sie immer brauchte, sie wusste schon,
was Trost und Trauer hieß, und wann immer sie Zeit fand, schrieb sie in
Gedanken ihre Beileidstelegramme und dachte sich Gespräche aus, von denen sie
glaubte, sie einmal führen zu müssen. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass sie
ihre Sätze niemals auf ein Papier schrieb, sondern nur in Gedanken verwarf und
umstellte, dass sie dann nach den richtigen Wörtern suchte und sie laut vor
sich hersagte, in den Abend, den Himmel hinein, als säße ihr auf unserem
kleinen Balkon jemand gegenüber. Aja hatte Rom betreten wie einen unbekannten
Kontinent, als dürfe sie jetzt eine andere sein, als könne sie sich neu
erfinden, weil hier niemand etwas über sie wusste und weil Zigi, Évi und ganz
Kirchblüt weit genug entfernt waren. Niemand im Krankenhaus wusste, aus welcher
Familie Aja kam, dass sie hätte zum Zirkus gehen können, weil sie klettern
konnte wie ein Äffchen und eislaufen mit Rehsprüngen, weil sie rückwärts auf
den Händen gehen, auf einer Kugel ihr Gleichgewicht halten konnte und auf einem
Seil hätte balancieren können, wenn eines auf den Gängen des Krankenhauses
gespannt gewesen wäre. Keiner wusste, dass Ajas Mutter nie in einer Schule
lesen und schreiben gelernt hatte, dass ihr Vater auf der anderen Seite des
Ozeans an einem Trapez Kunststücke vollführte und Briefe mit Geldscheinen nach
Kirchblüt schickte. Wenn sie Aja sahen, mit ihrem klaren Blick, dem nichts
entging, ihrer hellen Haut, die sich an den ersten Tagen an unserem
Küchenfenster rot gefärbt hatte, ihrem kurzen störrischen Haar, das sie im
Krankenhaus mit einem perlmuttfarbenen Reif zurückhielt, ihrem makellos weißen
Kittel, den sie in einer Wäscherei glätten ließ und nie zuknöpfte, ihrer feinen
Brille mit den runden Gläsern, die sie an einem Lederbändchen am Hals trug und
nur aufsetzte, wenn sie ein Medikament nachschlagen wollte, in einem der roten
Bücher, die hier überall auf den Regalen standen, dann konnten sie nichts ahnen
von Zigi, nichts von Évi, von ihren schiefen Zähnen und wirren Strähnen, von
ihren perlenbesetzten Trikots und den Bögen, die sie jederzeit ohne Vorbereitung
auf dem Eis laufen konnten. Sie ahnten nichts von Zigis Schuhen, die er im
Winter einem Fremden schenkte, nichts von dem Geld, das Évi mit Kuchenbacken
verdiente und in abgeschlagene Tassen steckte, damit Aja Bücher davon kaufte,
auf der anderen Seite des Tibers in der stickigen Luft eines Ladens hinter dem
Krankenhaus. Sie ahnten nichts von dem Altar in dem kleinen Haus, das hinter
Mais und Weizen von Brettern und einem Fliegengitter zusammengehalten wurde
und an einem Feldweg lag, der zu einer Brücke über den Klatschmohn in eine
kleine Stadt führte, wo jeder Aja kannte und all ihre Schritte über Jahre beobachtet
worden waren. Niemand fragte nach Ajas Hand, an der sie nur drei Finger hatte,
als habe Aja schon mit ihrem Blick durch die runden
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