Bank, Zsuzsa
Sitz neben ihr spazieren fuhr, ausgerechnet Rom sollte es sein, mein
verlorenes Rom, wie meine Mutter es nannte, als sei ihr eine Stadt verlorengegangen
und nicht mein Vater.
Aja hatte an einen Ort fahren
wollen, an dem es nie schneite. Sie wollte die Schneeflocken aus ihrem Leben
streichen, die Kälte, den Frost, sie wollte den weißen Himmel nicht mehr sehen
müssen, wenn er Schnee brachte, den sie am Tag zuvor schon spüren konnte. Ein
Meer wollten wir finden, das sich unter einem schwachen Wind kräuselte und wie
der blasse Fleck über Karls Wange aussah, dort wo sein braunes Haar blond wurde
und die Haut in winzige Wellen gelegt war. Eine Welt, die aus Geschichten
gewebt war, an deren Wahrheit wir keine Zweifel hatten, in der Götter
Seeschlangen ans Land schickten und Riesen Felsen ins Meer warfen. Die
Entfernung schreckte uns nicht, der Weg konnte uns nicht weit genug sein,
vielleicht glaubten wir, so unsere Schatten loswerden zu können, nicht nur
Karls Schatten, der sich noch immer am Morgen an Karl heftete und bis zum Abend
neben ihm lief. Rom lag weit genug entfernt, viel weiter, als Aja und ich uns
vorstellen, als wir uns ausmalen konnten, und mit seinen vielen Plätzen, die
uns lockten, glaubten wir, den einen ersetzen zu können, an dem wir
aufgewachsen waren, den wir Tag für Tag mit unseren Sprüngen vermessen hatten
und der mehr als nur ein Platz für uns war, weil es hier gewesen war, dass
meine Mutter an die Türen geklopft hatte, damit die Leute wieder Évis Kuchen
bestellten, weil Zigi hier heiße Maronen für uns gekauft, weil Ellen sich hier
an Platanen festhielt, wenn sie der Schwindel überfiel, und weil wir uns hier
vor der Sonne versteckt hatten, wenn Sommer gewesen war und die Blätter sich
vor einen wolkenlosen Himmel gedrängt hatten, um uns zu schützen.
Wie tief die Tauben durch den Tag
flogen, war das Erste, was mir auffiel in Rom, sechs, sieben nebeneinander, in
einem langen V, tiefer als bei uns, tiefer, als ich es je gesehen hatte, und
es blieb mir ein Rätsel, warum sie so tief flogen, ob sie die Abfälle besser
schnappen konnten, ob ihnen die wenigen Wolken zu nah waren oder nur die Hitze
sie zu Boden drückte, von der mir in den ersten Tagen der Kopf schmerzte. Wir
hatten den Zug genommen, kurz nach Ajas zweiundzwanzigstem Geburtstag, den sie
im Kreiskrankenhaus mit den Schwestern gefeiert und für den Évi drei Torten
gebacken hatte, mitten im August, wenn die Römer sagen, nur Touristen und
streunende Hunde sind auf den Straßen, als die Stadt verlassen und still war,
alles in ihr zu schweigen, zu ruhen schien und die Sonne die Blätter an den
Spitzen der Zweige schon versengt hatte. Wir ließen unsere Koffer am Bahnhof,
und weil wir nicht wussten, wohin, stiegen wir in den nächsten Zug, der uns
von Termini hinaus nach Ostia brachte, fanden den Weg zum Strand, zwischen
mageren Katzen, die sich an unsere Waden schmiegten und dann schnell in den
Löchern der Mauern verschwanden. Wir warfen unsere Kleider in den Sand,
sprangen kopfüber in die schmutzig grünen Wellen und schwammen weit hinaus, mit
dem gleichen Gefühl, mit dem wir vor Évis Garten in die Nacht gelaufen waren
und über die herbstnackten Felder gebrüllt hatten, wir sind erwachsen, wir
sind erwachsen. Wir schwammen zu den Holzstegen, zu ihren algenüberwucherten
Pfählen, tauchten und drehten so lange Purzelbäume in den Wellen, bis uns
selbst das laue Wasser kühl wurde. Karl und ich vergruben unsere Beine im
warmen Sand und sahen Aja zu, wie sie im Schaum der Wellen ihr Rad schlug, und
am Abend versteckten wir uns hinter einem Stapel Strandstühlen, um bis zum
Morgen bleiben zu können. Wir lagen auf unseren Jacken, dicht beieinander, Aja
in der Mitte, die Hände unter dem Kopf verschränkt, die nassen Haare im Sand,
und schauten schweigend in einen Himmel, der sich ausbreitete, als wolle er
uns zudecken, als sei er milde gestimmt, an unserem ersten Abend hier, jetzt,
da er sich tiefer blau färbte und seinen Mond als silberfarbene Sichel zeichnete,
um die Nacht anzumelden, die im Süden nie eine wirkliche Nacht ist, nur ein
kurzes Aussetzen, eine kurze Unterbrechung des Tages.
Für mich würde das Lernen hier
leichter sein, und zum ersten Mal konnte ich das Gefühl haben, ich selbst hätte
den Anfang gemacht, und Aja und Karl wären mir gefolgt, zwölfhundert Kilometer
nach Süden. Freunde von Karls Vater hatten auf Höhe der Engelsburg, auf der
anderen Seite des Tibers, eine Wohnung für uns gefunden,
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