Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
Vom Netzwerk:
Sommers
abgeebbt und die Plätze an mich zurückgefallen waren. Ich lief zum Campo de'
Fiori, der still und einsam lag, Wochen nachdem meine Mutter hier mit den
Gedanken bei meinem Vater unter Markisen gesessen hatte, dann zum Pantheon, wo
der Regen eine große Pfütze gelassen hatte, und wenige Ecken weiter, nahm vor
dem Brunnen eine Münze aus der Jackentasche, drehte mich um und warf sie über
meine rechte Schulter vor die Meeresgötter.
Kirchblüt
     
    So nah uns der Tod schon gerückt
war, er war fern genug geblieben, als dass wir uns hätten vor ihm fürchten
müssen. Seit wir in den Süden gefahren waren, in seine heißen Sommer und
verregneten Winter, hatten wir auch nach einem Ort zum Sterben gesucht,
vielleicht, weil wir uns auf eine Art für unsterblich hielten und es nie ernst
genommen hatten, wenn wir uns den Tod ausgemalt hatten. Karl hatte uns in
einem geliehenen Wagen über staubige Pisten gefahren, um vor einem dieser
kleinen, an die Hänge geschmiegten Friedhöfe zu halten, wir waren über weißen
Kies gelaufen, der unter unseren Sommerschuhen knirschte, den Hügel hinauf, mit
Blick auf Zypressen und Gräber, die nie verwildert und überwuchert waren wie
auf den Friedhöfen zu Hause, die schwarzen Steine wie soeben im Licht der Sonne
geputzt, Gräber, über die Aja mit ihrem schnellen, flatternden Blick schaute
und sagte, sie sehen aus, als seien sie unbewohnt.
    Aja und ich glaubten, zum Sterben
könnten wir eines Tages hierherkommen, und irgendwer würde schon dafür sorgen,
dass wir auch begraben würden. Aber Karl wollte sichergehen, und jedes Mal,
wenn wir fanden, dies wäre ein guter Ort zum Sterben, und vor einem Friedhof im
Wagen übernachtet hatten, ging er am Morgen zum Rathaus oder Kreisamt, wo sie
ihn für verrückt halten mussten, weil er drei Gräber in einer Reihe haben
wollte und dafür Stunden auf einer Bank in einem Flur, vor ungläubigen Beamten
warten konnte, um sich unter einem Fenster, das die Sommerluft hereinließ, mit
Formularen und Merkblättern zu quälen, mit denen er uns später zuwinkte. Wie
bei einem Spiel hatten wir nach einem solchen Ort gesucht und getan, als
könnten wir übers Land fahren und den schönsten Platz dafür finden, nur weil
der Tod kein Fremder für uns war, weil wir ihn kannten, Karl und ich seit wir
Kinder waren, und Aja seit sie im Krankenhaus von Kirchblüt angefangen hatte,
Tabletten und Thermometer zu verteilen, seit sie an Betten gewacht und Évi am
Morgen an der Pforte gewartet hatte, um sie über Feldwege nach Hause zu
begleiten, seit sie im Leichenkeller der Pathologie begonnen hatte, Hände zu
zerlegen, und blass gewesen war, wenn wir sie abgeholt hatten, um ein paar
Schritte durch die Sonne zu gehen. Jetzt, da ich im Zug saß und Rom hinter mir
gelassen hatte, da die Landschaft im Norden schon flacher wurde, fielen mir die
kleinen Friedhöfe ein, die wir entdeckt hatten, wenn wir von der Landstraße
abgefahren und einem Schild mit einem Kreuz gefolgt waren, die polierten
Steine mit den gerahmten Fotos der Toten, auf die Karl lange geschaut hatte,
als könne er Ben auf einem von ihnen entdecken. Ich suchte nach dem Zeitpunkt,
an dem sich mein Blick auf Karl geändert hatte - wann hatte ich angefangen,
seine Haut, die sich hinter den Wangen in tausend Wellen legte, anders zu
sehen? Ich wusste nicht mehr, warum ich ausgerechnet jetzt den Süden verlassen
hatte, wo in Kirchblüt nur Schnee und Regen, nur Tage ohne Licht auf mich
warteten. Aber später, als der Zug über die Grenze fuhr und ich vor Chiasso
meinen Pass zeigen musste, hatte ich seit langem wieder das Gefühl, gerettet zu
sein.
    In den zwei Jahren war ich selten
nach Hause gefahren, nur wenn es Geld und Zeit erlaubt hatten, aber jetzt war
es mir gleich gewesen, ob mein Geld reichte, ob ich Zeit dafür hatte, ich
fuhr, um mein altes Zimmer wiederzufinden, in dem alles unverändert war, in
dem meine Mutter nichts berührt und nichts weggenommen hatte, in dem sogar die
Bücher auf meinem Tisch noch so lagen, wie ich sie zurückgelassen hatte, als
ich mich das letzte Mal gegen Mitternacht in einen Zug nach Rom gesetzt hatte,
als habe meine Mutter gehofft, wir könnten weiterleben wie früher, wir könnten
unser Leben dort wiederaufnehmen, wo wir aufgehört hatten. Als ich ausstieg,
konnte ich sie schon am Bahnsteig sehen, in ihrem hellen Mantel mit dem runden
Kragen, den Handschuhen im selben Ton, und als ich den Koffer abstellte,
wartete sie nicht, sondern lief durch die Menge,

Weitere Kostenlose Bücher