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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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den Kopf in den Nacken und drehte schmale
Pirouetten, von denen ihr nie schwindlig wurde, lief wieder ein Stück, und
wenn sie in Fahrt kam, breitete sie die Arme aus und hob an zu ihren
Rehsprüngen, die ihr selbst ohne Übung genauso gelangen wie früher.
     
    Karl wollte spät losfahren, er
mochte die nächtlichen leeren Straßen, und die Gewissheit, wenn es hell werden
würde, schon im Süden zu sein. Er wollte einem Licht entgegenfahren, auf das
wir uns jetzt, da Évi auf Ostern wartete und still und schweigsam darüber
werden würde, schon verlassen konnten, und ich musste lachen, als er sagte, er
bringe mich nach Monaten der Dunkelheit zurück ins Helle, in einen Frühling,
der seine ersten Farben schon auf die sieben Hügel Roms getupft habe. An
unserem letzten Abend gingen wir gemeinsam zur Eisbahn, Aja hatte gesagt, sie
könne nicht abreisen, ohne noch einmal dort gewesen zu sein. Karl lief langsam
große Runden, mit seinem roten wehenden Schal, und wenn er stehen blieb, wenn
er sich mit dem Rücken an die Absperrung lehnte und mit ausgestreckten Armen
festhielt, folgte sein Blick Ajas zügigen Schritten, ihren Drehungen und
Sprüngen, die an diesem Abend vorsichtiger ausfielen, als habe Aja Angst, sich
zu verletzen. Außer uns war niemand auf dem Eis, und als man die großen Fluter
ausschaltete und so die letzten Minuten ankündigte, blieben wir unter der Uhr
stehen. Wir hörten, wie ihre Zeiger weiterrückten, und schauten im flachen
Licht auf unsere langgezogenen schmalen Schatten, Ajas Schatten als kleinster
in der Mitte. Aja hob die Arme über ihren Kopf, dann hob Karl sie und dann ich,
wir fassten uns langsam an den Händen und warfen ein Zickzackmuster aufs Eis.
Wir standen lange so, ohne dass uns die Arme schwer geworden wären, jetzt, da
wir einander wiederhatten und doch alles neu war. Ich musste an das Märchen
denken, das Évi uns erzählt hatte, wenn sie am Zaun Johannisbeeren gepflückt
hatte und wir in unseren Linden gesessen hatten, als habe man auch für uns
Federn in die Luft geblasen, damit wir ihnen in verschiedene Richtungen
folgten, als hätten uns die Federn irregeleitet, und wir hätten einander
trotzdem gefunden.
     
    Als wir um Mitternacht losfuhren,
standen alle am schiefhängenden Tor. Évi, meine Mutter, Karls Vater, Ellen und
Jakob, der Karl eine Tasche voller Schwarzweißfilme gab und sagte, Karl solle
ihm mehr Bilder von Sonnenblumenfeldern und von den Dächern vor unserem Küchenfenster
schicken. Évi musste Aja versprechen, im Herbst nach Rom zu kommen, sobald die
größte Hitze vorbei sein würde, und Évi senkte den Kopf und sagte, sie würde
jetzt nicht weinen, sie würde es sich aufheben für später, aber dann fing sie
doch an, und meine Mutter fasste sie am Arm und schüttelte den Kopf, als wolle
sie sagen, hör auf damit, lass sie fahren und weine später, wenn dich keiner
sehen kann. Aja weinte ein bisschen mit ihr, und ich fing auch an zu weinen,
weil ich plötzlich nicht mehr wusste, warum wir überhaupt zurückfahren, warum
wir Kirchblüt verlassen mussten für einen Ort, an dem es nicht einmal Eisbahnen
gab, wie Aja am Abend zuvor gesagt hatte, warum wir den Wagen nicht einfach
stehen ließen und blieben, bei Évi und meiner Mutter, bei Ellen und den
anderen, und ich bin sicher, Aja und Karl wussten es in diesem Augenblick auch
nicht.
    Jakob warf die Türen zu, und wir
kurbelten die Fenster nach unten. Als der Wagen langsam losrollte, liefen sie
mit Taschenlampen neben uns her und redeten, als wollten sie uns nicht gehen
lassen, als wollten sie uns wenigstens noch ein paar letzte Sätze mit auf die
Reise geben, bis zu der Abzweigung, wo es eine Weile dauerte, bis Karl
dreimal, viermal hupte und dann langsam auf die Straße bog, die uns aus
Kirchblüt, das still und dunkel vor uns lag, hinaus und unter nackten Kastanien
nach Süden führen würde. Als ich zurückschaute, winkten sie mit ihren
Taschenlampen und schickten Lichtstrahlen in den schwarzen Himmel. Évi reichte
meiner Mutter ihr Taschentuch mit den Stickrosen, und ich fragte mich, ob sie
jetzt weinte, weil ich sie verließ oder weil ich in die Stadt fuhr, in der sie
auf den Spuren meines Vaters über die Via Antonelli gelaufen war und in den
Gesichtern der Frauen eine Elsa gesucht hatte.
Stadt der Lügen
     
    Das Bild folgte mir, in allen
Schweizer Tunneln, in deren Dunkelheit ich Évi sehen konnte, die meiner Mutter
ein Taschentuch reichte, während Aja sich laut beschwerte, weil Karl nicht die
alte

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