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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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nachdenken mussten, das uns mühelos
in eine Welt trug, die Évi bislang verschlossen geblieben war. Aber jetzt
entdeckte Évi sie, und nichts, was sie sah, blieb ungelesen. Wir merkten es an
ihren Augen, wenn sie einem Schriftzug folgten, auf einem Lastwagen, der
vorbeifuhr, über einem Geschäft, in einer Auslage, in dem Anzeigenblättchen,
das donnerstags auf die Stufen zum Fotoladen gelegt wurde und Busreisen anbot,
die auch Évi schon bezahlen konnte, und auf den Zetteln, die auf dem großen
Platz verteilt wurden und die Évi mit einer Neugier und Freude entgegennahm
wie niemand sonst. Bald fing meine Mutter an, Évi aus meinen Büchern zu
diktieren, nicht zu schnell, mit vielen Pausen, weil Évi lange brauchte, bis
sie die Wörter in ihr Heft gesetzt hatte, mit dieser Schrift, die sich nicht
mehr änderte, die auch Jahre später so blieb, vielleicht weil Évi die
Anstrengung, mit der sie jeden Buchstaben schrieb, nicht mehr ablegen konnte
und sie auf jedem Papier, auf jeder Seite ihrer Hefte zu sehen war, wo sich
die Buchstaben aneinanderdrängten, als hätten sie nie genügend Platz und
müssten einander wegstoßen.
    Évi brauchte nicht länger so zu
tun, als lese sie, sie brauchte Kopf und Augen nicht mehr so zu bewegen, wie
sie es bei anderen gesehen und nachgeahmt hatte. Sie hörte auf, Geschichten
für uns zu erfinden und vorzugeben, sie stünden so in den Büchern, die wir aus
dem kleinen Regal hinter den Mänteln nahmen und Évi in den Schoß legten. Évi
quälte sich durch die Seiten, wenn sie uns laut vorlas, und lange Zeit hörte
sie sich an, wie Aja und ich uns angehört hatten, als wir selbst angefangen
hatten, laut in unseren ersten Büchern zu lesen. Sie glitt mit ihren Fingern über
die Buchstaben, als ziehe sie die Wörter auseinander und setze sie neu
zusammen, und wir schauten auf den dunkelroten Lack, der sich von ihren Nägeln
löste, die zu lang und zu rot waren für jemanden, der bei jedem Wetter ohne
Handschuhe durch die Gemüsebeete fuhr und Unkraut zupfte. Was immer sie fand,
las Évi jetzt laut, auch was der Postbote brachte und was sonst ins Haus
flatterte und andere sofort in den Müll geworfen hätten. Sie machte keinen
Unterschied zwischen den Prospekten, die man im Fotoladen auf die Theke legte,
und den Büchern in Leinen, die meine Mutter ihr gegeben hatte, weil sie dachte,
sie könnten Évi gefallen und hätten ihr etwas zu sagen. Die Angebote vor den
Geschäften las sie genauso wie die Meldungen im Gemeindeblatt zu Begräbnissen
und Taufen. Wenn sie ein Wort richtig gesagt hatte, nickte sie und sagte es
gleich noch einmal. Wir machten es zu unserem Spiel, auf Plakate in den
Schaufenstern zu zeigen oder auf die Tafeln vor dem Cafe, und wir freuten uns
mit Évi, wenn sie es schon beim ersten Mal richtig las und dann zweimal,
dreimal wiederholte, mit diesem Ton, als glaube sie nicht recht, was dort
geschrieben stand, Kürbisse, Schneestiefel, Heuschnupfen oder Erdbeerkuchen. Im
Fotoladen las Évi die Adressen auf den Kuverts, die in einer großen gelben
Kiste gebracht und vor den Eingang gestellt wurden, mit Bildern, die Évi nicht
aus den Wannen hinter dem dicken Vorhang gefischt hatte, sondern die aus einem
Labor geschickt worden waren, und bald fing sie an, die kleinen Zettel selbst
auszufüllen, die sie vom Kuvert trennte und über die Theke schob, auch wenn sie
nachfragen und warten musste, bis man ihr den Namen Buchstabe für Buchstabe
diktiert hatte.
    Jetzt, da sie Zigis Briefe lesen
konnte, reichte es ihr nicht mehr, sie in hellblauen Umschlägen auf dem kleinen
Tisch neben dem Eingang liegen zu sehen. Zum ersten Mal las sie seine Briefe
und konnte nicht aufhören damit, sie biss sich fest an ihnen, hastete durch die
Blätter und Zeilen, um bei einer Stelle zu bleiben, die sie wieder und wieder
laut las, als gebe es uns nicht, als lehnten Aja, Karl und ich nicht am
Türrahmen und schauten zu, wenn sie sich zu den farbigen Papieren hinabbeugte,
die ausgebreitet auf dem Küchentisch lagen, zu Zigis winzigen, kantigen
Buchstaben. Erst ging sie ohne Eile von Wort zu Wort, um jeden halben Satz und
jede Silbe auszukosten, und wurde dann beim zweiten, dritten Lesen schneller,
als könne sie nicht abwarten, voranzukommen, obwohl sie doch alles schon einmal
gelesen hatte. Zigi schien ihr näher, als er ihr in den Wochen in Kirchblüt,
wenn der Herbst den Sommer und seine langen hellen Tage ablöste, jemals hätte
sein können, als könne Évi jetzt endlich sehen, wie seine Welt

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