Bank, Zsuzsa
zu wollen wie auf den
Feldwegen rund ums Bahnwärterhäuschen.
Dass man im Fotoladen immer warten
musste, wenn Évi über den Fächern hinter der Theke nach dem Buchstaben suchte,
unter dem ein Umschlag zu finden war, und dass sie manchmal zu viel oder zu
wenig herausgab, wenn sie an der Kasse das Wechselgeld abzählte, schien
niemanden zu stören. Wie mit einem Kind war man nachsichtig mit ihr, selbst dem
Ladenbesitzer schien es nichts auszumachen, wenn Évi für diese Dinge Zeit
brauchte, weil er ansonsten sehen konnte, mit welcher Vorsicht sie die Kameras
aus dem Fenster nahm und auf die Theke legte, und weil sie sich nie beschwerte,
wenn sie länger bleiben oder früher kommen sollte, weil sie sich überhaupt nie
über irgendetwas beschwerte. Dass Évi weder lesen noch schreiben konnte,
sondern nur so tat, hatte ich schon geahnt, jedes Mal, wenn sie zwischen Aja
und mir gesessen hatte, mit einem Buch in den Händen, das wir aus dem kleinen
Regal hinter den Mänteln genommen hatten. Ich hatte es gewusst, seit wir
angefangen hatten zu lesen und mit lauten Wörtern bald an Évi vorbeigeeilt
waren, mit einer Ungeduld, die man nur als Kind hat und später verliert. Bald
nachdem Évi im Fotoladen angefangen hatte, kam sie an zwei Abenden der Woche
zu meiner Mutter, um lesen zu lernen, zwei, vielleicht drei Sommer nachdem Aja
in den Waldsee gefallen war und meine Mutter in Évis Nähe etwas finden konnte,
das es sonst nirgends gab und das wir später an anderen Orten vergeblich
suchten. An einem Nachmittag, an dem meine Mutter auf der schiefen Bank in Évis
Garten gesessen und ihre Schuhe zwei Mauselöcher weiter ins Gras geworfen
hatte, um später mit nackten Füßen zum Wagen zu laufen, das Fenster
hinabzukurbeln und Évi noch etwas zu sagen, bevor sie mit mir auf dem Rücksitz
losfahren würde, an diesem Nachmittag, an dem die Bäume die Sonne zurückgehalten
hatten, musste Évi in meiner Mutter etwas gesehen haben, das sie ins Haus gehen
und die Briefe holen ließ, die wie stumme Mahnungen auf dem kleinen Tisch neben
dem Fliegengitter geblieben waren. Meine Mutter hatte sie unterm Birnbaum
geöffnet und schnell durchgesehen, um Évi zu sagen, was darin geschrieben stand
und was sie zu tun haben würde. Sie hatte nicht überrascht ausgesehen, als Évi
die Briefe in ihre Hände gelegt hatte.
An zwei Abenden der Woche stellte Évi
ein Glas warme Milch und einen Teller Brote für Aja in die Küche, ging über den
Feldweg, über die Furchen und Rillen, die ein Traktor gezeichnet und der
jüngste Regen tiefer gespült hatte, zur Brücke über den Klatschmohn und unter
Platanen über den großen Platz, unter ihren sommergrünen Blättern zur anderen
Seite, vorbei am Fotoladen, für den sie an diesen Abenden sicher keinen Blick
hatte, vorbei am Schuhgeschäft, das ein altes Plakat von Karl in kurzen Hosen
und Strandschuhen zeigte, und zwei Ecken weiter, bis sie am Telefonhäuschen
in unsere Straße bog, wo sie am Nachbargarten stehen blieb und ich sie von
meinem Fenster aus schon sehen konnte, als brauche sie noch einen Augenblick,
bevor sie zu unserem Haus gehen konnte, wo zwei Buchstaben auf sie warteten,
die meine Mutter für diesen Abend ausgesucht hatte. Zwei Buchstaben würde sie Évi
zeigen, nicht mehr, zwei Buchstaben würde sie langsam schreiben, sie wieder und
wieder vor Évis Augen setzen, und Évi würde sie nachzeichnen, auf einem grauen
Blatt Papier, das meine Mutter aus dem Sekretär genommen hatte, an dem sie
ihre Post durchsah, aus einer der Schubladen neben der Klappe, die mit einem
kleinen Schlüssel zu öffnen war. Évi sagte, sie zeichne die Buchstaben lieber
erst in Gedanken, und malte mit der linken Hand in die Luft, ließ sie
umherschwirren und fing sie ein, wenn sie Schulter an Schulter mit meiner
Mutter auf dem Sofa saß und ich sie von der Diele aus sehen konnte. Sie
schrieb sie dann auf den Bogen Papier und danach in ihr Heft, und wenn ich am
Morgen aufstand, die Treppe hinabstieg und ins Wohnzimmer sah, lagen die losen
Blätter unter dem Tisch verstreut wie Herbstlaub.
Meine Mutter hatte ein Heft mit
gelbem Stoffeinband und Schleife in einem der besseren Geschäfte ausgesucht und
Évi am ersten Abend gegeben, als sie an unserem Tor gestanden hatte, ohne zu
klingeln oder zu rufen, als wolle sie vermeiden, von jemandem gehört zu werden,
und deshalb lieber warten, bis meine Mutter sie am Tor stehen sah, die Tür
öffnete und ihr winkte, damit sie über den Hof lief und in der Diele ihre
Schuhe
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