Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
Vom Netzwerk:
mit den Absätzen aus Holz abstreifte, obwohl meine Mutter jedes Mal
sagte, sie könne die Schuhe ruhig anlassen. Évi kam immer zur gleichen Zeit,
und sie schien selbst für diesen Weg zu ihrer Deutschstunde, wie meine Mutter
es nannte, einen neuen Gang erfunden zu haben, eine andere Art, ihre Füße
aufzusetzen, still und leise, mit kleinen Schritten, als könne sie unbemerkt
bleiben, wenn sie über den großen Platz und den Bürgersteig unter den
Kastanien bis zu unserem Tor lief. Wie ein Schulmädchen sah sie dann aus, in
ihrer dunklen Strickjacke, die Haare mit einem Reif aus dem Gesicht gehalten,
ihr gelbes Heft unter dem Arm, wenn sie das Tor beiseiteschob und die wenigen
Schritte über den Hof ging, wenn sie die eine Strähne aus der Stirn nahm, die
ihr ins Gesicht gefallen war, wenn sie sich aufs Sofa setzte, die Stifte
zurechtlegte und das gelbe Band mit der Schleife löste, um ihr Heft aufzuschlagen.
    Zwei Schulbücher hatte meine
Mutter besorgt, die für die ersten Klassen gedacht waren, dazu Stifte in vielen
Farben, als solle Évi nicht nur schreiben, sondern auch bunte Girlanden
zwischen die Absätze zeichnen, so wie Aja und ich es taten. Wenn sie zwischen
Sofakissen unter der großen Lampe in ihrem Blätterwald saßen, kreiste meine
Mutter die Buchstaben und Wörter mit ihrem Bleistift ein, unterstrich sie,
sagte sie langsam und deutlich vor, und Évi sprach sie genauso langsam und
deutlich nach, als lerne sie nicht lesen, sondern sprechen, und dann schauten
sie sich an, als hätten sie eine Entdeckung gemacht, als seien sie gerade
zusammen auf etwas gestoßen. Évi wurde nicht müde davon, die Reime zu wiederholen:
Anne, Kanne, Wanne, Pfanne, die Wörter laut zu sagen, jeden Buchstaben, aus dem
sie zusammengesetzt waren, und manchmal sprach sie die Wörter aus, als hätten
sie eine andere Bedeutung, als könne etwas anderes gemeint sein, sobald man es
nur anders betonte. Évi hatte ihre Lieblingswörter, Zündholz war eines davon,
es gefiel ihr, wie sie aussahen, sie zeichnete die Linien ihrer Buchstaben,
ihre Schwünge nach und hörte darauf, wie sie klangen, wenn sie die Wörter viele
Male hintereinander laut aufsagte. Meine Mutter gab ihr Hausaufgaben, für
jeden Tag eine Übung, und wenn Aja, Karl und ich in unsere Linden kletterten,
saß Évi unterm Birnbaum bei einem Glas Wasser, aus dem sie nicht trank, mit
einem Bleistift und einem Spitzer, den sie aus Ajas Mäppchen genommen hatte
und in dem sie ihren Stift drehte, jedes Mal, wenn sie eine Seite mit As oder
Os geschrieben hatte.
    Meine Mutter hatte sich in den
Kopf gesetzt, ein Fenster für Évi zu öffnen, durch das sie in eine reichere,
bessere Welt würde steigen können, von der meine Mutter glaubte, Évi solle
unbedingt Zutritt zu ihr haben. Es schien ihr nie zu viel zu werden, auf die
schiefen Buchstaben zu schauen, die Évi langsam in ihr Heft setzte, an all
diesen Abenden zu zeigen, wie sie auszusehen hatten, mit welchem Schwung sich
ein großes G zu öffnen und ein kleines S zu schließen hatte. Sobald sie ihre
Tasche, ihre Schlüssel an die Garderobe gehängt und auf ihrem roten Sessel die
Post durchgesehen hatte, blätterte sie schon in den Büchern, um Évis Schulstunde
vorzubereiten, wie sie sagte, wenn sie durchs Haus ging und plötzlich stehen
blieb, war ihr immer gerade etwas eingefallen, das sie Évi beim nächsten Mal
zeigen wollte und schnell auf die farbigen Zettel schrieb, die jetzt überall
herumlagen. Über unseren Köpfen zog sie eine Schnur durchs Wohnzimmer, durch
die Diele und Küche, und jedes Mal, wenn Évi kam, hefteten sie ein neues Blatt
an, mit dem nächsten Buchstaben, unter dem vier, fünf Wörter standen, die so
anfingen und die Évi in ihrer schrägen, widerspenstigen Schrift geschrieben
hatte, in der die Buchstaben auseinanderzudriften versuchten. Die Blätter
vermehrten sich schnell, die Wörter zogen sich bald durchs ganze Haus, und ich
folgte ihrer Spur durch den Flur über die Treppe und durch die Diele ins
Wohnzimmer. Sie schwebten über mir, wenn ich aufwachte und ins Bad ging, sie
raschelten, wenn ich die Stufen hinabstieg, mich an den Küchentisch setzte und
meinen Tee trank, sie flatterten zum Abschied, wenn ich die Haustür öffnete und
auf dem Schulweg in Gedanken schon neue Wörter auf die Blätter schrieb, die unser
Haus schmückten wie Girlanden ein Gartenfest. Wenn ein Blatt sich löste, wenn
es auf den roten Teppich, auf die Küchenfliesen segelte, hob meine Mutter es
sofort auf und

Weitere Kostenlose Bücher