Bank, Zsuzsa
sein ließen, bis sie den Tag und das Fest vergaßen und sich nicht
beraubt, sondern leichter fühlten, so jedenfalls sagte es Karls Mutter, weil
sie Weihnachten ohne Ben nicht mehr feiern mussten.
Évi glaubte, bestimmte Dinge
geschahen nur an Ostern, nur an diesen zwei Tagen im Jahr, an denen der Himmel
am Morgen nach der Lichtfeier anders aussah. Deshalb wunderte es sie nicht,
dass Karl ausgerechnet an einem Ostersonntag etwas einfiel, mit dem er seine
letzte Erinnerung an seinen Bruder verfeinern und sein letztes Bild von ihm zu
Ende malen konnte. Vielleicht war es, weil die Hühner hochgeflattert waren und
mit ihren Flügeln gegen das Drahtnetz geschlagen hatten, als wir beim
Eiersuchen die Tür zu ihrem Käfig geöffnet hatten, jedenfalls erinnerte sich
Karl daran, dass sein Bruder an ihrem letzten gemeinsamen Sonntag früher als
sonst zu ihm und seiner Mutter gebracht worden war, weil sein Vater mit dem
Wagen eine weite Strecke hatte fahren müssen, vier, fünf Stunden in eine Stadt
im Süden, wo er an diesem Tag noch arbeiten sollte. Als sie klopften, war seine
Mutter noch im Morgenmantel gewesen, was sonst nie geschah, weil sie schon am
Frühstückstisch gewaschen, angezogen und gekämmt war und das Gleiche von ihren
Kindern verlangte. Ben hatte in der geöffneten Tür gestanden und sich länger
als sonst von seinem Vater verabschiedet, als hätten sich die beiden nicht
trennen wollen, als hätten sie am Morgen oder am Abend davor gestritten und
sich nicht aussöhnen können. Als Karls Vater sich umdrehte, um loszugehen, flog
ein kleiner schwarzer Vogel über ihren Köpfen ins Haus und flatterte dicht
unter der Decke in den Flur, über die Treppen und in die Küche, wo er über
frischen Brötchen und heißem Kakao kreiste und heftig mit dem Schnabel und den
Flügeln gegen das Fensterglas schlug. Karl und Ben sprangen kreischend hinter
ihm her, ein bisschen aus Angst, ein bisschen vor Aufregung, als ihr Vater
einen Besen aus der schmalen Kammer nahm und den Vogel hinauszuscheuchen
versuchte, zurück zur Diele, wo er ihm entwich und zu den Treppen flog, als
wolle er hinauf zu den Zimmern, zu ihren Betten und Schränken, bis er die
Richtung erneut änderte und sich in den dicken Vorhängen verfing, die sonst die
kalte Luft abwehrten, jetzt aber zur Seite gezogen waren und Karls Mutter
versteckten, als habe sie Angst vor einem kleinen schwarzen Vogel, der ins Haus
geflogen war und nicht hinausfand, der sich festkrallte am schweren Stoff, wo
alle sehen konnten, wie schnell er atmete und wie heftig seine Flügel
zitterten. Ben und Karl zerrten am Samt der Vorhänge, sie riefen und ruderten
mit den Armen, als könnten sie ihm den Weg zeigen, bis sich der Vogel freiflatterte
und durch die weitgeöffnete Tür endlich hinausfand, um so schnell von zwei
Buchen verschluckt zu werden, als habe es ihn gar nicht gegeben.
Obwohl die Leute sagten, Aja und Évi
passten nicht nach Kirchblüt, blieb es für mich immer Karl, der nicht hierhergehörte,
der in einem falschen Bild saß und beim Versuch, sich einzufügen, nur aus
seinem Rahmen fiel. Auch wenn wir jetzt schon wussten, wie der blasse Fleck in
sein Gesicht gekommen war und warum seine Haut dort aussah wie in unzählige
winzige Wellen gelegt, war es, als habe Karl sich nach Kirchblüt nur verlaufen
und sei aus irgendeinem Grund, den ich mir damals nicht ausdenken konnte, geblieben.
Er spielte kaum mit anderen Kindern, als Freunde hatte er Aja und mich
ausgesucht, zwei Mädchen, eines davon mit einer Mutter wie Évi, umgeben von
Hasen und Hühnern, in einem Haus, das dort lag, wo Kirchblüt ausfranste und
die Feldwege sich kreuzten. Es kümmerte Karl nicht, wenn sich andere über ihn
lustig machten, weil er sich uns, ausgerechnet uns Mädchen ausgesucht hatte,
die Röcke trugen und zum Abschied ein Rad schlugen, während Karl neben uns
stand, die Fäuste tief in den Hosentaschen, als habe er Angst, sich schmutzig
zu machen, bis zu dem Tag, an dem er Anlauf nahm, die Hände aufsetzte, die
Beine hochriss und sich zum ersten Mal mit uns drehte, höher und schneller
noch als wir.
Ich glaube nicht, dass ich es durcheinanderbringe
und mich falsch erinnern könnte, ich bin sicher, es fällt in die Zeit, als
Zigis Geschichten zu schwanken und bröckeln begannen, dass der kleine schwarze
Vogel zurückkehrte, um durch Karls Ohr in seinen Kopf zu fliegen und darin zu
kreisen, mit schnellen, unruhigen Bewegungen durch seine Tage und Nächte, mit
lautem Flügelschlag, durch die
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