Bank, Zsuzsa
Mutter nur anzutippen, und sie hatte eine Geschichte für mich, ich
musste nur still auf unserem Sofa sitzen und zuhören, wenn sie anfing, Dinge zu
erzählen, von denen ich nicht weiß, waren sie so oder waren sie nur erfunden,
damit ich etwas hatte, an dem ich mich würde festhalten können. Es gelang
meiner Mutter, etwas aus den Anfängen des Lebens mit meinem Vater mitzunehmen
und für mich zu retten. Selbst wenn es meinen Vater nicht mehr gab, sollte
unser kleines Dreieck, unser Spiel zu dritt, nicht ganz verloren sein.
Weil er die lange Strecke von Rom
nach Hause nicht mit dem Nachtzug hatte fahren wollen, hatte mein Vater damals
das Flugzeug genommen, und meine Mutter hatte ihn abgeholt, an einem Freitag
im Mai, der nach zu vielen Regentagen zum ersten Mal trockenes, warmes Wetter
gebracht hatte. Sie war früh aufgestanden, wie sie mir oft genug erzählte, um
sich nicht eilen zu müssen und das Gefühl auszukosten, sich Zeit lassen zu
dürfen, war im Morgenmantel zum Tor gegangen, um die Zeitungen aus dem
Briefkasten zu holen und darin zu blättern, während sie langsam zwei Löffel
Honig in ihren schwarzen Tee gab. Sie hatte lange vor dem Spiegel gestanden,
die Haare zusammengesteckt, gelöst und wieder zusammengesteckt, war hinter
Kirchblüt nicht zu schnell unter hellgrünen Kastanien über die Landstraße
gefahren, hatte die Fenster heruntergekurbelt, damit der Fahrtwind den
Frühling hineinwehte, auf den sie in diesem Jahr zu lange hatte warten müssen
und der jetzt an ihrem Halstuch zupfte. Das Radio hatte sie nicht eingeschaltet,
aus Angst, es könne ihr leichtes, unbeschwertes Gefühl zerstreuen, und als sie
den Wagen am Flughafen abstellte, war noch Zeit gewesen, auf der Terrasse in
den wolkenlosen Himmel über dem Rollfeld zu schauen und zu warten, bis das
Flugzeug aus Rom landen würde. Sie hatte sich am Geländer festgehalten, in
ihren zartgelben Lederhandschuhen, war dann schnell die breiten Treppen hinabgestiegen,
auf ihren hohen Absätzen, in ihrem Frühlingsmantel, den sie nicht zugeknöpft
hatte, und vor den Türen zur Gepäckausgabe stehen geblieben, mit einer
Aufregung, die sie an den Händen spüren und seit der Schulzeit nicht ablegen
konnte, als meine Eltern das Gymnasium besuchten, auf das später auch Karl,
Aja und ich gingen. Sie hatte lange auf meinen Vater gewartet, länger als
sonst, die Türen hatten sich viele Male geöffnet, mit einem leise schnappenden
Geräusch, aber herausgekommen waren immer nur andere. Plötzlich war sie
ängstlich geworden, obwohl sie selten ängstlich war, und erst später, als sie
schon im Wagen zurückfuhren, den mein Vater lenkte, und sie eine Hand in seinen
Nacken gelegt hatte, als müsse sie sich seiner versichern, war diese Unruhe,
diese Angst verflogen. Mein Vater hatte lange warten müssen, sein Koffer war
in Rom geblieben, man hatte gesagt, mit einer der nächsten Maschinen würde er
nachkommen und sobald er da sei, bekäme er Post von ihnen. Als sich die Türen
endlich geöffnet und meinen Vater hinausgelassen hatten, mit seinem Mantel, den
er über die Schulter geworfen hatte, in seinem weißen Hemd, dem grauen Anzug,
war meine Mutter auf ihn zugelaufen und hatte ihn länger und heftiger umarmt
als sonst, hatte die Ellenbogen auf seine Brust, ihre Hände an seine Wangen
gelegt, und so hatten sie eine Weile gestanden, dass jeder hätte denken können,
sie hatten sich seit Jahren nicht gesehen, dabei waren es nur zwei Tage
gewesen.
Es war der erste Sonntag seit
langem, den sie für sich hatten und sie wie früher, als es mich noch nicht
gegeben hatte, am Morgen ihre Fahrräder schnappten und es über den nahen Wald
und die Hügel bis zum Neckar schafften, von oben hinabschauten auf sein
Flussbett, das hier schmaler war, auf sein dunkelgrünes Wasser, das an dieser
Stelle, die sie gut kannten, heller wurde und in das sie sich an den heißesten
Tagen des Jahres schon oft hineingeworfen hatten. Der April war kalt und nass
gewesen, der Mai hatte nur zögernd ein dichteres Grün auf die Zweige gesetzt,
und weil es der erste Tag war, der den Winter endgültig vertrieb, zogen sie
ihre Jacken aus und banden sie an die Gepäckträger, um die laue Luft auf den
Armen zu spüren. Sie waren ohne Eile, weil sie am Abend den Zug nehmen und
nicht mit den Rädern zurückfahren wollten, breiteten ihre Decke mit Blick aufs
Wasser und die silbergrünen Pappeln am anderen Ufer aus, legten sich in den
Schatten der Bäume und strichen mit der flachen Hand übers Gras.
Weitere Kostenlose Bücher