Bank, Zsuzsa
Meiner Mutter
fiel ein, wie sehr sie sich geängstigt hatte, wie unruhig sie vor zwei Tagen
noch gewesen war, bevor mein Vater aus der Tür an der Gepäckausgabe getreten
war, und jetzt, da sie sich neben ihm ausstreckte, ihre Schuhe an den Bändern
gelöst und neben ihre Füße gestellt, ihren Kopf auf seine Hüfte gelegt hatte
und in den Himmel sah, in seine endlosen Schichten von Blau, kehrte es
plötzlich zurück zu ihr, dieses Gefühl der Unruhe, als habe es sich zwischen
Wolken verfangen und auf den rechten Augenblick gewartet, herabzufallen und
sich noch einmal auf sie zu stürzen. Unten am Wasser fuhren sie langsamer
weiter, mit kurzen Pausen, wenn ihnen die Strömung gefiel, die Biegung des
Flusses, wenn sie nicht wussten, was sich dahinter verbarg, und dann ihre
Fahrräder an einen Baum lehnten, um hinabzulaufen, die Füße in die Wellen zu
stecken, und Stöcke warfen, um zu sehen, wie der Fluss sie langsam mitnahm. Im
gelben Licht des Nachmittags setzten sie mit der kleinen Seilfähre über, um wie
an vielen anderen Sonntagen, wann immer es das Wetter erlaubt hatte, unter Trauerweiden
auf einer Schiffsterrasse Kuchen zu essen.
Das Radfahren in der Sonne hatte
meinen Vater hungrig gemacht, er bestellte zwei Stücke Viktoriatorte, den
Kaffee nahm er schwarz, meine Mutter goss ihn aus einer weißen Porzellankanne,
die der Kellner ohne nachzufragen auf ihren Tisch gestellt hatte. Mein Vater
trank schnell und gierig, als wolle er seinen Durst mit heißem Kaffee löschen,
und noch bevor sein Mineralwasser mit einer Scheibe Zitrone im Glas gebracht
worden war, ließ er die Tasse fallen, die Kuchengabel, die Serviette aus
rosafarbenem Papier, griff an seine Brust, seinen Hals und kippte mit dem Stuhl
so heftig nach hinten, als habe er sich mit den Füßen abgestoßen, gegen den
Rücken eines Fremden, der sich umdrehte und ansetzte zu schimpfen, aber gleich
aufsprang, um meinen Vater zu halten, den Stuhl, den Tisch, die Teller, die er
mitriss, sich über ihn zu beugen und seine Schultern zu fassen, während meine
Mutter sich auf die Knie fallen ließ, die Hand meines Vaters nahm, die er zur
Faust geballt hatte, wieder und wieder seinen Namen sagte, mit jedem Mal
lauter, seinen Blick suchte, und jemanden in die Schiffsküche schickte, der
zwischen Tellerstapeln aus weißem Porzellan schrie, man müsse einen
Krankenwagen rufen. Mit ihrer freien Hand versuchte sie, nach der Stelle zu
tasten, wo sie seinen Herzschlag spüren könnte, aber es gelang ihr nicht, ihr
eigenes Herz schlug zu laut und zu schnell, es war zu unruhig um sie, die Leute
waren von ihren Stühlen aufgestanden und näher gekommen, sie redeten und
raunten in einem engen Kreis, der sich zu meinem Vater hinunterbeugte, wie ein
großer Trichter unter dem Licht der Nachmittagssonne, die weiter ihr weiches,
zuckendes Gelb auf die Wellen des Neckars setzte.
Als sie meinen Vater auf einer
Liege in den Krankenwagen schoben, der spät gekommen war, weil sie den schmalen
Feldweg übersehen hatten, den man zum Schiff hinab nehmen musste, sprang meine
Mutter auf und schlug die fremde Hand weg, die sie zurückhalten wollte, als sie
zu meinem Vater drängte, den sie zu beruhigen suchte, mit einem schsch, das
sie mit jedem Mal leiser zischte, und dessen Hand sie hielt und drückte, als
sie unter Blaulicht abfuhren, neben einem Schwarm Zitronenfalter, der plötzlich
aus den Gräsern flog und zum Fluss flatterte. Noch am selben Abend kehrte meine
Mutter ohne meinen Vater nach Hause zurück, in einer Tasche seine Kleider mit
seinem Geruch, die man ihm ausgezogen hatte und die sie erst nach Wochen
ausräumte, als sie glaubte, sie könne es aushalten, sie könne nun die Kraft
aufbringen, seinen schmalen Gürtel auszupacken, seine dunklen, knielangen
Hosen, die sie an ihm gemocht und die er schon deshalb gern getragen hatte,
sein helles Hemd mit den Flecken von Kaffee und Viktoriatorte, ohne die vier
cremefarbenen Knöpfe, die abgesprungen waren, als man es im Krankenwagen
aufgerissen hatte.
Die Fahrräder waren hinter dem
Kartenhäuschen zur Seilfähre an einen Baum gelehnt geblieben, meine Mutter
ließ sie mit einem Lieferwagen holen und vom Fahrer sofort in die Garage
stellen, um sie nicht mehr sehen zu müssen. Auf all ihren Gängen nahm sie jetzt
mich mit, zur Pfarrei am großen Platz, über dem die Platanen schnell ihr
dichtes Blätterdach ausgebreitet hatten, als wollten sie meiner Mutter zuliebe
die Maisonne aussperren, zum Bestatter, der neben ihr hinter
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