Bankgeheimnisse
Beifahrersitz Jorge, eine Waffe mit langem Lauf aus dem geöffneten Seitenfenster haltend und auf sie zielend.
»Er schießt auf uns!« schrie sie.
Leo trat ruckartig den Gashebel nieder. Sie waren schon auf der Autobahn, und der Porsche beschleunigte jetzt rapide.
Johanna hörte das Summen des Geschosses noch vor dem Bersten der Rückscheibe. Leos Kopf fiel nach vorn, auf das Lenkrad. Seine Hände krampften sich einen Moment am Steuer fest, rissen es zur Seite, ließen los. Der Porsche rutschte mit kreischenden Reifen über den Asphalt, prallte gegen die Leitplanke und wurde in die Luft gewirbelt, mit seltsamer Leichtigkeit hochgeschleudert wie ein Spielzeug von der Faust eines zornigen Riesen. Der Wagen überschlug sich mehrmals in der Luft. Er flog fast zwanzig Meter weit, die Böschung hinab, über Geröll und niedriges Gestrüpp hinweg, bis er krachend auf dem Dach landete.
Johanna sah alptraumhaft huschende Lichter, bevor der Aufprall kam. Der harte Ruck ließ sie für Sekunden die Besinnung verlieren.
Sie hing kopfunter im Sicherheitsgurt, die Haare vor dem Gesicht. Mit sonderbarem Desinteresse registrierte sie, daß sie immer noch mit beiden Händen die Handtasche umkrampft hielt. Sie wunderte sich vage, daß sie keine Schmerzen hatte. Durch den Haarvorhang vor ihren Augen glitzerte die ausgezackte Windschutzscheibe. Sie schüttelte die Haare aus dem Gesicht, und Splitter rieselten nach unten, auf den Wagenhimmel.
Leo war weg. Sie überlegte einen Augenblick lang, ob er sich schon befreit hatte, aber mit der Erkenntnis, daß er nicht angeschnallt gewesen war, kam die furchtbare Gewißheit, daß er durch die Windschutzscheibe hinausgeschleudert worden war. Die Tür auf der Beifahrerseite war abgerissen und hing seitlich vom Wrack des Porsche herab. Johanna warf ihre Tasche aus dem Wagen und löste mit klammen Fingern den Gurt. Ihre Schulter rutschte aus der Gurtpeitsche, und sie sackte auf den mit pulverisiertem Glas übersäten Wagenhimmel. Es stank nach Benzin. Johanna schob sich kriechend aus der zerfetzten Türöffnung. »Leo?«
Sie nahm ihre Handtasche und richtete sich schwankend auf. »Leo?« Als sie die Böschung hinauftorkelte, merkte sie, daß sie einen Schuh verloren hatte. Das Gras war kalt und naß, scharfkantiges Geröll grub sich in ihre Fußsohle. Oben, auf der Straße, bremste mit kreischenden Reifen ein Wagen. Sie riß den Kopf hoch. Es war nicht die dunkle Limousine. Mühsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, kämpfte sich weiter die Böschung hinauf. Sie fand Leo hinter einem Dickicht, etwa zehn Meter von der Fahrbahn entfernt. Er lag auf dem Bauch, die Gliedmaßen verrenkt und zerbrochen. Sein Gesicht war im Gras verborgen. Ich darf ihn nicht bewegen, dachte sie, als sie neben ihm auf die Knie sank. »Leo?« Im nebligen Zwielicht erkannte sie, daß sein ganzer Kopf blutüberströmt war. Aber er lebte, eine seiner Hände bewegte sich. Er drehte wie in Zeitlupe den Kopf, bis sie sein Gesicht sah. Sein bis zur Unkenntlichkeit entstelltes Gesicht. Die zerschnittenen Lippen zuckten, er versuchte, etwas zu sagen. Sie beugte sich zu seinem Mund nieder, bis sie das leise Rasseln als Worte erkannte. »Verdammt schade...«
»Du darfst nicht sprechen.«
»Schade... hätte zu gerne... vielleicht ein Sohn...« Sie lauschte seinem schwächer werdenden Röcheln, bis es nach wenigen Sekunden aufhörte.
Sie fühlte die Nässe zwischen ihren Schenkeln. Etwas drängte mit Macht aus ihr heraus, quoll hervor. Unvermittelt setzte der Schmerz ein, und sie begriff, daß sie in dieser Sekunde das Kind verlor.
»Ich habe die Ambulanz verständigt!« Ein älterer Mann kam ungelenk die Böschung herabgeschlittert, Dunstwolken seines keuchenden Atems vor dem Gesicht. »Sie müssen jeden Augenblick hier sein!« Er blieb neben ihr stehen und starrte auf Leos zerstörten Körper. Sich niederbeugend, legte er zwei Finger auf die Innenseite von Leos Handgelenk. »Mein Gott. O mein Gott, verdammt! Ihr Mann? Verdammt!« Er schluchzte heiser, fassungsloses Entsetzen auf dem faltigen Gesicht. »Was ist mit Ihnen? Sind sie verletzt?«
Sie stand schwankend auf, ihre Tasche vor der Brust haltend.
»Sie bluten.« Der Mann machte einen Schritt auf sie zu. Sie sah an sich herab. Blut rann über ihre zerschundenen Hände. Sie mußte sich verletzt haben, als sie sich auf dem splitterübersäten Wagendach abgestützt hatte.
»Das ist nichts.«
»Aber sehen Sie doch!« Er deutete auf ihre Beine. Auch dort war Blut,
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