Bankgeheimnisse
Kofferboys übergab, bevor er wieder in den Wagen stieg. Sie drückte sich näher an den Pagen, der mit steif abgewinkeltem Arm den Schirm über sie hielt. Ihre Wildlederpumps sogen sich binnen Sekunden mit Spritzwasser voll, aber ihr pastellblaues Kostüm blieb trocken. In der Eingangshalle tauchten Wiking und Leo neben ihr auf. Sie sah sich unwillkürlich nach Helmberg um, bis ihr einfiel, daß er woanders wohnen würde, bei Bekannten, irgendwo im Süden von Paris. Vermutlich fuhr der Chinese ihn dorthin. Während Leo und Wiking die Eincheckformalitäten an der Rezeption erledigten, wartete sie. Sie hatte das Gefühl, im Stehen einschlafen zu können. Leo kam zu ihr herüber. Er wirkte frisch und sah jung und smart aus in seinem neuen, burgunderroten Sakko. »Du bist restlos am Ende. Laß dich nach oben bringen.« Er deutete auf den Pagen, der mit ihrem Gepäck bei den Aufzügen wartete. »Ich rede noch ein paar Takte mit dem Wikinger. Leg dich ruhig schon hin. Ich störe dich nicht.«
Sie folgte dem Pagen in den Aufzug und dann über endlos scheinende Gänge, in denen die Teppiche jedes Geräusch ihrer Schritte schluckten. Als sie vor der Tür ihrer Suite angekommen waren, stellte sie fest, daß sie vorhin nicht darauf geachtet hatte, in welchem Stockwerk sie aus dem Aufzug gestiegen war. Der Page öffnete ihr höflich die Tür und brachte das Gepäck hinein. Er stellte es ab und wartete mit beflissenem Lächeln. Sie musterte flüchtig den Raum. Ein Salon, mit antiken Kirschholzmöbeln eingerichtet. Eine schwere Clubgarnitur um einen niedrigen Glastisch. Jugendstilornamente in Tapeten und Vorhängen.
Sie bedeutete dem Pagen, das Gepäck in das andere Zimmer zu tragen, das mit dem Salon durch eine Flügeltür verbunden war. Sie folgte ihm mit ihren Blicken und sah das breite französische Bett. Ein Bett. Sie drehte sich um und begutachtete das hochlehnige Clubsofa. Es sah nicht sonderlich bequem aus, doch das war Leos Problem, nicht das ihre.
Der Page hatte die beiden Koffer neben dem Bett abgestellt. Sie gab ihm eine Handvoll Francs und wartete, bis er die Suite verlassen hatte. Dann ging sie zum Fenster und zog die Jalousien zu. Sie streifte ihre Schuhe ab, legte sich auf das Bett und schlief augenblicklich ein.
Sie erwachte durch Leos Streicheln. Er berührte sie zärtlich, nicht fordernd. Seine Finger glitten durch ihr Haar, über ihre Wangen und ihren Hals. Er saß neben ihr auf dem Bett, ohne Sakko, mit gelockerter Krawatte. Seine Augen waren leuchtend blau in dem Licht, das der Lüster an der Decke verbreitete. Sie bewegte sich nicht, sah ihn aber wachsam an.
»Du bist wunderschön, wenn du schläfst. Wie eine Prinzessin. Keine Eisprinzessin, sondern eine aus Fleisch und Blut.« Er fuhr mit seinen Fingerkuppen über ihre Wangenknochen, ihre Lippen. »Wann habe ich dir das letzte Mal gesagt, daß ich dich liebe?«
Sie lächelte unwillkürlich. »Du liebst mich nicht.«
»Natürlich tue ich das. Schließlich habe ich dich geheiratet.« Er beugte sich über sie und küßte sie flüchtig auf den Mund. Sie hielt still, aber er merkte, daß sie sich anspannte.
»Das war ein Irrtum, auf beiden Seiten. Wir haben das geliebt, was der andere darstellte. Du warst der reiche Märchenprinz mit einer tollen Kutsche und einem tollen Schloß, ich das arme Aschenbrödel. Du hast es genossen, mir alles zu zeigen. Du hast mir die gläsernen Schuhe angezogen. Ja, das trifft es. Ich bin für dich doch nur eine hübsche kleine Kleiderpuppe.«
»Du bist hübsch, und du bist klein. Aber du hast nicht gerade die Gardemaße eines Mannequins. Es ist sogar ausgesprochen schwierig, etwas Passendes für dich zu finden.« Er tastete die Linien ihres Schlüsselbeins ab. »Du bist dünn geworden in letzter Zeit. Was ist los mit dir?«
Sie war einen Moment lang versucht, es ihm zu sagen, aber der Impuls verging so schnell, wie er gekommen war. »Es ist alles in Ordnung mit mir.« Sie entzog sich ihm, stand auf und ging ins Bad. Sie benutzte die Toilette und wusch sich anschließend Gesicht und Hände. Als sie zurückkam, war Leo damit beschäftigt, seinen Koffer auszupacken. Er ließ seine Augen an ihr herabwandern, musterte ihren zerknitterten Rock. »Das solltest du besser ausziehen.«
Sie klappte ihren Koffer auf, nahm ein Kostüm zum Wechseln sowie ein Cocktailkleid heraus und hängte beides über Kleiderbügel.
»Du solltest dir nicht zu lange Zeit damit lassen«, fuhr er fort. »Wir treffen ihn in einer Stunde.«
Die
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