Bankgeheimnisse
und unversöhnlichem Haß. Fabio zog den Briefumschlag zwischen ihren Körpern hervor, hielt ihn seinem Gegenüber vor die Nase und wedelte damit hin und her. »Du kannst wählen. Das hier oder...« Er ließ das letzte Wort drohend in der Luft hängen.
Micky riß ihm den Umschlag aus der Hand, steckte ihn sich in die Innentasche seiner Jacke, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte davon.
Gegen zwei Uhr hatte der Nieselregen in Paris aufgehört. Johanna registrierte es mit Mißvergnügen. Der Spaziergang würde nicht ausfallen, nur etwas später als geplant stattfinden. Um halb vier hatte ein vierschrötiger Mann mit wuchtigen Schultern und schaufelartigen Händen an die Tür ihrer Suite geklopft und sie davon in Kenntnis gesetzt. Er stellte sich als Jorge vor, Amerys Bodyguard. Irgend etwas an ihm störte sie, ohne daß sie hätte sagen können, was es war. Auf den ersten Blick wirkte er sympathisch. Sein breites Gesicht wirkte freundlich, sein Lächeln war herzlich. Das brünette Haar war ordentlich frisiert. Er war gut und teuer angezogen, ebenso wie der Chinese und wie Strass. Sie sahen aus, als ließen sie alle beim selben Schneider arbeiten, bis auf Amery, dessen Anzug aus einer vergangenen Epoche zu stammen schien.
Leo war irgendwo im Hotel. Sie vermutete, daß er mit Wiking Methoden austüftelte, wie man aus Amerys Riesenvermögen noch mehr herausschinden konnte. Wiking hatte nicht den Eindruck hervorgerufen, sich klaglos dem Diktat der Stiftungsaufsichtsbehörden beugen zu wollen, was die Anlage der Stiftungsmittel betraf. Sie hatte sein Gesicht gesehen, als sie ihm im Flugzeug die Vorschriften auseinandergesetzt hatte. Blue Chips allein waren etwas für Feiglinge und Angsthasen. Er würde mit Sicherheit versuchen wollen, das Reglement im Wertpapiersektor zu umgehen. In seinen Anfängen hatte er wie Leo als Anlageberater und Händler gearbeitet. Das Jonglieren mit fremden Geldern war ein langlebiges Virus. Es setzte sich im Blut fest und war nicht abzutöten.
Johanna zog Jeans und Schnürschuhe an. Beim Zusammenstellenihrer Reisegarderobe hatte sie Wikings Rat befolgt und Sachen eingepackt, die sich für eine Wanderung eigneten. Ihre Windjacke war aus festem, grauem Stoff und selbst bei wohlwollender Betrachtung ziemlich formlos geschnitten. Amery würde für eine Wanderung über nasse, morastige Parkwege keine überzogenen Ansprüche an ihr Äußeres stellen.
Sie bürstete ihr Haar, bis es glänzte, kämmte es dann glatt zurück und band es im Nacken zu einem Pferdeschwanz. Bis auf eine Spur Rouge verzichtete sie auf Make-up. Ausgehfertig stellte sie sich schließlich vor den Kleiderspiegel im Schlafzimmer und übte ihre kleine Ansprache ein, die sie sich seit dem Mittagessen zurechtgelegt hatte. Wie üblich würde sie einen kurzen Abriß über die verschiedenen Stiftungsarten und deren Zielsetzungen zum besten geben. Danach einige wichtige Gründungsdetails. Sie würde über das Herz der Stiftung reden, die Satzung. Über Regelungen, die den Sitz der Stiftung betrafen und deren Organe, Vorstand, Präsident und Kuratorien. Sie würde es wie immer erzählen, so als hätte sie es nicht schon dutzendfach getan, sondern als wäre es heute das erste Mal. Prononciert, langsam, manchmal sogar zögernd. Nachdenkliche Pausen vor den wirklich wichtigen Abschnitten, um seine Aufmerksamkeit zu gewährleisten.
Danach würde sie erfahren, wofür das Geld verwendet werden sollte. Die Möglichkeiten, Gutes zu tun, waren so vielfältig wie die in Deutschland bereits existierenden Stiftungen. Für wohltätige Zwecke gab es nie genug Geld.
Und dann würden sie zu dem Thema kommen, das sie brennend interessierte. Der Kapitaltransfer. Wo hatte er sein Geld? Wie war sein Vermögen gestreut? Auf welchen Wegen würde es nach Frankfurt kommen? Und vor allem, wann? Je nach der Zusammensetzung des Vermögens würde es Zeit kosten, es flüssig zu machen und es zu transferieren. Wiking und Leo wußten nichts darüber, schienen aber nicht allzu begierig zu sein, es zu erfahren. Anscheinend waren sie sich ihrer Sache sehr sicher.
8. Kapitel
Der Chinese fuhr Johanna, Leo und Helmberg zum Bois de Boulogne an der westlichen Stadtgrenze. Der Himmel war heller als am Morgen. Über den künstlichen Seen lag ein matt spiegelnder Schimmer, unterbrochen von den sanften Wellen, die von vereinzelten Ruderbooten herrührten. Aus dem regenschweren Herbstlaub tropfte Wasser auf die Wanderwege, doch es war weniger morastig, als Johanna
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