Bankgeheimnisse
Post am Eingangstag, nicht erst Tage später. Sie hatte eine eigene Sekretärin, die ihre Briefe sofort tippte und nicht erst in der nächsten Woche.
Sie sah die hilflose Abneigung in seinen Augen. Aber sie wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, wie groß diese Abneigung gegen sie wirklich war. Das merkte sie erst bei seinen nächsten Worten. Sie spürte seinen Haß, als er sich vorbeugte, ein unruhiges Flackern in den Augen, die Fingerkuppen gegeneinandergelegt.
»Kommen wir noch einmal auf Ihre Mordthese zurück. Wirklich, sehr interessant, ich werde nicht müde, das zu betonen. Sie sind also der sicheren Überzeugung, daß Harald Klingenberg ermordet wurde. Darf ich das als Aktennotiz festhalten?«
»Verdammt, was soll das?«
»Darf ich nun oder nicht?«
»Halten Sie doch fest, was Sie wollen. Sagen Sie mir nur, was für Bücher damals auf seinem Schreibtisch lagen.«
»Ich sage Ihnen sogar noch mehr. Ich kann Ihnen zu Ihrer Beruhigung mitteilen, daß der Mörder von Harald Klingenberg, vorausgesetzt, es war denn wirklich Mord, bereits gefaßt ist.«
Sie starrte ihn an. Das intensive Blau ihrer Augen bildete einen scharfen Kontrast zu der milchigen Blässe ihrer Haut.
»In der Tat«, fuhr er leicht heiser fort. Er räusperte sich. »Ihre Darstellung wirft natürlich ein ganz anderes Licht auf diese Sache. Seien Sie versichert, ich werde diese Sache mit den Büchern sehr genau prüfen. Sollte sich dabei etwas in Richtung Mord herausstellen, haben wir jedenfalls den Mörder schon. Und ich werde dafür sorgen, daß wir ihn behalten.«
Sie war außerstande, etwas zu sagen. Er sah die quälende Frage in ihren weit aufgerissenen Augen und nickte, ohne sich die Mühe zu geben, seinen Triumph zu verbergen. »Ja, es ist genau der, an den Sie denken. Ihr Bruder.«
»Wie...«, flüsterte sie rauh. Ihr Gesicht war kreideweiß.
»Anonymer Hinweis, vermutlich aus der Drogenszene. Es gibt genug Leute, die um ihre Pfründen fürchten, seit Ihr Bruder wieder draußen ist.«
»Wo haben Sie ihn... verhaftet?«
»Fahnder haben ihn an der holländischen Grenze geschnappt, gestern abend. Im Hohlraum der Fahrertür haben sie neben einem hübschen Drogensortiment auch Gift gefunden, dasselbe, an dem Klingenberg starb. Und er hatte Geld bei sich. Viel Geld. Er scheint wieder gut im Geschäft zu sein. Ach, natürlich, ich hätte beinahe vergessen, warum Sie hergekommen sind.« Er zog eine Akte aus dem Stapel auf seinem Schreibtisch und blätterte. »Da wäre sie auch schon, die Asservatenliste. Hm, fünf Bücher, wie ich sehe. Merkwürdige Mischung aus Unterhaltsamem und Ernstem. Ich schreib’s Ihnen rasch auf.« Er nahm einen Bleistift und spitzte ihn umständlich in einem an der Schreibtischplatte befestigten Spitzer, bevor er anfing, Buchtitel auf einen Zettel zu kritzeln. Johanna starrte blicklos aus dem Fenster. Durch die von Regenschlieren getrübte Scheibe sah man die dunkle Wand des Nachbargebäudes, genau so häßlich wie dasjenige, in dem sie sich befand. Sie stand langsam auf, ihre Handtasche umkrampfend. Ihr Körper schmerzte. Sie hatte nicht gut geschlafen in der vergangenen Nacht. Leo hatte sie zwar in Ruhe gelassen, aber seine bloße Anwesenheit in dem Hotelbett und seine körperliche Nähe hatten ausgereicht, um ihre Nerven freizulegen. Auf dem Rückflug war sie ebenfalls nicht zum Schlafen gekommen. Sie hatte in Amerys Akte geblättert und die wesentlichen Einzelheiten mit Wiking erörtert, der neben ihr gesessen hatte.
»Übrigens — die Mühe, um eine Besuchserlaubnis nachzusuchen, können Sie sich sparen«, meinte Jäger beiläufig, ohne aufzublicken. »Ihr Bruder hat ausdrücklich erklärt, Sie auf keinen Fall sehen zu wollen.«
Sie gab einen erstickten Laut von sich, preßte eine Hand vor den Mund. Jäger sah hoch, und jetzt gab er sich wieder als der mitfühlende, väterlich besorgte ältere Kollege, so wie damals nach Klingenbergs Tod. »Kann ich sonst noch irgend etwas für Sie tun?«
Johanna nahm mechanisch den Zettel, den er ihr hinstreckte. Ihre Hand zitterte. Als sie den Zettel in die Tasche stecken wollte, ließ sie ihn fallen. Er flatterte zu Boden, segelte unter Jägers Schreibtisch. Sie bückte sich, um ihn aufzuheben, aber er kam ihr zuvor. Er zog ihn mit der Schuhsohle zu sich herüber, nahm ihn auf, wischte ihn ab und reichte ihn ihr abermals. Mit gesenktem Gesicht nahm sie das Stück Papier entgegen und schob es in ihre Tasche. Unvermittelt hob sie den Kopf und schaute ihm in die
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