Bankgeheimnisse
Löffel zugefeilt«, flüsterte er. »Es ging ganz leicht. Und dann... auf dem Krankentransport. Ich bin auf dem Transport abgehauen. Sie suchen überall nach mir. Ich muß schnell weg. Aber ich habe kein Geld.«
»Hast du versucht, mich anzurufen?«
Er nickte. »Mehrmals. Ich habe dich da oben stehen sehen. Ich hab’s über die verdammte Feuerleiter versucht, aber sie war zu steil.« Er blieb in der Diele stehen, sah sich um und ließ sich schließlich kraftlos in den Louis-seize-Stuhl fallen. Seine ärmlich gekleidete, ausgemergelte Gestalt bildete einen schmerzhaften Gegensatz zum aufdringlichen Luxus der Wohnung, dem seidigen Velours, den sorgfältig aufeinanderabgestimmten Farben und Formen der Einrichtung. Johanna beugte sich über ihn und untersuchte seine Gelenke. »Die Verbände haben sich gelockert. Du brauchst einen neuen Druckverband.« Sie schluckte. »Du mußt zum Arzt.«
»Vergiß es. Gib mir nur ein bißchen Geld, und ich verschwinde wieder.«
»Ich muß erst welches holen, ich habe nicht soviel im Haus.« Sie dachte fieberhaft nach. »Meine Karte. Ich gebe dir meine Karte und schreibe dir meine Geheimnummer auf, damit kannst du am Automaten Geld holen.«
»Wieviel?«
»Soviel du willst. Es sind ungefähr dreißigtausend auf dem Konto, das dürfte dir fürs erste reichen. Ich sorge dafür, daß neues Geld da ist, du kannst die Karte behalten. Mein Gott, all das Blut!« Sie zog an den Aufschlägen seiner blutverschmierten Jacke und stieß einen entsetzten Laut aus, als Ströme von Blut aus den frischen Schnitten an seinen Gelenken über seine Hände sickerten. »Zuerst muß die Jacke runter. Schnell. Ich muß dich verbinden, Micky. Du verblutest sonst!«
Er stöhnte, als sie ihn so vorsichtig wie möglich aus der Jacke schälte. »Schaffst du es ins Bad?«
Er nickte mit zusammengebissenen Zähnen und wankte mit ihrer Hilfe ins Badezimmer, wo er stöhnend auf den gefliesten Boden sank und sich gegen den Rand der Wanne fallen ließ. Sie zerrte mit fliegenden Fingern Verbandsmaterial aus dem Schrank, schnitt die blutdurchtränkten Mullbinden von seinen Handgelenken und legte frische Druckverbände an, die sie mit langen Streifen von Leukoplast zusätzlich befestigte. Sie hockte sich auf die Fersen zurück und besah kritisch ihr Werk. »Ich weiß nicht, ob das hält. Vielleicht ist es zu fest. Und in jedem Fall müßte es genäht werden. Von der Infektionsgefahr ganz zu schweigen.«
»Es muß auch so gehen. Hast du ein paar Tabletten?«
»Schmerztabletten.« Sie wühlte in dem Apothekenschränkchen herum, nahm eine Packung Novalgin heraus und gab sie ihm, bevor sie ihr Zahnputzglas am Waschbecken voll Wasser laufen ließ. Das Glas schlug klirrend gegen das Email. Johanna war außerstande, dem Zittern ihrer Hände Einhalt zu gebieten.
Er richtete sich mühsam auf, stützte sich am Wannenrand ab und drückte zwei Tabletten in seine Handfläche. Er schluckte sie mit dem Wasser aus dem Zahnputzglas und wischte sich den Mund. »Wie steht es mit Aufputschmitteln? Ich muß irgendwas einnehmen, sonst falle ich an der nächsten Ecke um.«
»Nein, Fehlanzeige. So etwas führe ich nicht. Ein starker Kaffee muß reichen.«
Er hob die Schultern und sah an sich herab. Sie folgte seinen Blicken auf die durchnäßte, blutige Kleidung und schüttelte den Kopf. »Damit kann ich dir nicht weiterhelfen, jedenfalls nicht auf die schnelle. Leo ist schon vor Monaten mit Sack und Pack ausgezogen. Und von meinen Sachen paßt dir garantiert nichts. Ich könnte etwas besorgen, aber dann müßtest du bis morgen früh hierbleiben.«
Er schüttelte den Kopf, das nasse Haar flog ihm in die bleiche Stirn, und er strich es ungeduldig mit blutverkrusteten Fingern zurück. »Das geht auf keinen Fall. Sie können jeden Moment hier aufkreuzen. Es spielt keine Rolle, ob es paßt, Hauptsache, es ist trocken, und es ist kein Blut dran. Irgendein Pulli, ein altes Sweatshirt. Eine Jogginghose. Du hast doch bestimmt eine Jogginghose, oder?«
Stirnrunzelnd faßte sie ihn unter und half ihm bei dem Weg ins Schlafzimmer, wo er sich schwer atmend zu ihr umdrehte. »Johanna, du glaubst es doch nicht, oder?«
Sie wußte sofort, wovon er redete. »Niemals.«
»Er war Nataschas Vater.« Er stockte. »Wenn alles anders gelaufen wäre... ich meine, mit mir, mit Natascha... und mit ihm... wir wären vielleicht heute eine Familie. Ich habe sie so sehr geliebt. Johanna, ich wünsche mir manchmal, jetzt an seiner Stelle zu sein. Egal, wo er
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