Bankster
Sicherheit schon fünfmal gesehen, das dritte Viertel dreimal und den ganzen Film zweimal, wenn man den heutigen Abend mitzählt. Die junge Edith Piaf müsste zu meinen Spezialgebieten gehören.
Jetzt schläft Harpa bei mir auf dem Sofa. Ich verstehe nicht, wie sie das schafft. Kaffee und Rosinen haben mich den ganzen Film über und die Minuten, in denen ich meinen Abend zusammengefasst habe, wach gehalten. Sie wollte nur mal eben die Augen zumachen und hat meine Brust gegen ein Kissen ausgetauscht. Als sie schon fast eingeschlafen war, hat sie ihre Beine an den Körper gezogen, weiter weg von dort, wo ich saß, sitze, und nun schläft sie auf ihren angezogenen Beinen und mit den Händen zwischen Kopf und Kissen und »schnummert« wieder. Sie war sehr müde, das habe ich an ihrer Stimme gehört. Wir reden manchmal beim Fernsehen, sprechen aber nicht wirklich miteinander. Es sind oft nur Bemerkungen, ein oder zwei in die Luft geworfene Sätze, und sie dürfen dort ungestört bleiben. Von heute Abend erinnere ich mich an: Ich: Tolle Farben. Harpa: So verzwickt. Harpa: In Paris sind wir jedenfalls schon gewesen. Harpa: So frei und clever. Harpa: Sie war wie ein Musikinstrument. Harpa: Eine kleine Amy Winehouse steckt in ihr, oder andersrum. Ich: Sie müssen noch La vie en noir über Amy drehen. Harpa: Wow, ich habe vergessen, dass sie bloß spielt. Ich: Bist du müde? Ich: Bist du eingeschlafen? Ich: Du bist eingeschlafen.
Als wir uns kennengelernt haben, ist Harpa in den Chor gegangen. Ich habe sie nie öffentlich singen gehört, bin aber oft von ihrem leisen Gesang in der Wohnung aufgewacht. Sie wollte nie ein Einzelkonzert für mich geben, und ich habe längst aufgehört, davon zu reden. Sie hat eine schöne Stimme, ganz glatt, ganz anders als das Gekrächze, das ich manchmal von mir gebe – trotzdem, vielleicht wecke ich sie eines Tages mit einem Lied, nur um ihr Gesicht zu sehen, wenn sie sich blinzelnd aufs Kissen stützt und fragt, ob sie wirklich geschlafen habe.
23.11. – Sonntag
Eigentlich ist Harpa kein Gewohnheitstier, eher im Gegenteil, aber zum Sonntagskaffee will sie immer ins gleiche Café. Als wir uns vorhin diesem Ort genähert haben, sah ich ungewöhnlich viele Buggys und Kinderwagen davor stehen und dachte an einen Motorradschuppen mit verkehrten Requisiten, Silver Cross und Teutonia anstelle von Harley Davidson und Kawasaki, rückwärts an die Wand geschoben, um einen raschen Aufbruch zu garantieren, falls etwas passieren sollte.
Ich hatte keinen Hunger, habe nur meinen Cappuccino mit Haselnusssirup geschlürft und versucht, gegen den häuslichen Lärm anzureden: Gequatsche, Gelächter, Weinen, alles ganz natürlich, alles ganz positiv, und trotzdem ein bisschen wie in der Frühstückspause im Kindergarten, wie ich zu Harpa meinte. Sie sagte, dass das doch total schön sei, sah den Kindern und ihren Eltern zu und wollte ganz offensichtlich kein Wort mehr über meine Bemerkung verlieren.
Als wir wieder zu Hause waren, bin ich gleich hier ins Bücherzimmer gegangen, habe vorgegeben, ein wenig lesen zu wollen, und sofort das Notizbuch aus dem Versteck geholt. Ich habe keine Ahnung, warum wir dieses Zimmer Bücherzimmer nennen, selbst wenn es so auf dem Grundriss steht. Hier ist nur jede Menge alter Kram, den wir aus verschiedenen Gründen nicht wegwerfen wollten: Das weiße Ikea-Regal voller Schulbücher, das alte Schlafsofa, verschlissen, aber bequem, der mit lauter Kritzeleien und Flecken verzierte Schreibtisch aus ferienhausartigem Kiefernholz, der dunkelbraune orientalische Kleiderschrank, ein paar zusammengewürfelte Klappstühle, Plastiktüten und Kartons … Die Tür zum Bücherzimmer ist immer geschlossen. Wir wollten es als drittes Schlafzimmer nutzen, jedenfalls eher, als ein Fernsehzimmer daraus zu machen, aber wir hatten nie Bedarf, das kleinere Schlafzimmer hat für Gäste immer gereicht – wir nennen es das kleinere Schlafzimmer oder das Gästezimmer, nie Kinderzimmer, wie es auf dem Grundriss heißt.
24.11. – morgens
Gestern bin ich mit zum Essen gegangen, obwohl ich heftige Kopfschmerzen hatte. Als ich es Harpa gegenüber erwähnte, erklärte sie sich bereit zu fahren und gab mir eine Schmerztablette.
Wir waren diesmal nur zu viert und konnten in der Küche essen. Nach dem Essen hat Schwiepa zwei große Bierdosen aus dem Kühlschrank geholt und gemeint, dass wir uns draußen ruhig eins genehmigen sollten. Da ich schon den Hinweg übernommen hätte, könne Harpa uns ja
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