Bankster
nur noch die beiden Paare übrig, als Guðni und ich nach draußen ins sibirische Wetter gingen. Der Austurvöllur war mit altem, festgetretenem Schnee bedeckt, noch schmutzig und aufgewühlt von der letzten Demonstration. Wir liefen zwei Runden um den Platz und versuchten, die Sache zu klären. Es wollte nicht so recht gelingen, und als ich nach seiner Familie fragte, wie es ihr ginge, brach Guðni zusammen, anders kann ich es nicht nennen, obwohl er weder weinte noch besonders laut wurde. Er zog die Mütze aus der Tasche und setzte sie auf: »Bei mir ist alles in Ordnung, es müsste mir wunderbar gehen, in Anbetracht der Tatsache, dass ich ausgehe und so. Die Kinder wissen es natürlich – für sie hat sich nichts verändert. Aber Sólveig ist in einem schlechten Zustand, das muss ich zugeben. Sie bekommt schon irgendwelche Medikamente, meine Sólveig nimmt Pillen. Aber, ich meine, was muss man eigentlich tun, um diesen beschissenen Anruf zu bekommen?! Einige haben ihn bekommen, nicht viele, aber – ich meine, du und so, und dabei dachte ich, dass ich ziemlich oben auf der Liste stehe, oder? Ich meine, ich war mehr als ein Jahr in London und weiß nur, dass alle mit meiner Arbeit zufrieden waren, ich weiß, dass alle superzufrieden waren mit meiner Arbeit, das habe ich an meiner Gehaltsabrechnung gesehen.« Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass sein Spezialwissen schon bald sehr gefragt sein werde, viele Unternehmen würden bald fusionieren, und er müsse nur geduldig sein und überall von sich hören lassen. »Aber du weißt, Markús, ich habe nicht nur das, das weißt du, und auch die anderen wissen, wovon ich spreche. Ich meine, mit vielen von denen habe ich fünf fucking Jahre zusammengearbeitet, und da drinnen sind viele, die viel kürzer gearbeitet haben, oder? Was muss man tun? Muss man einsachtzig groß sein? Ich weiß, ich bin nur einssiebzig und kann einen Scheiß dagegen unternehmen. Kann ich irgendwas tun, Markús?« Ich sagte, dass er sicher vieles tun könne, aber nicht den Anruf herbeirufen, der ihn zurück auf seinen Sessel befördern würde, und ich bat ihn, sofort aufzuhören, darauf zu warten, das Warten fräße ihn noch auf. »Das Warten? Allein das Zuhausesein und in diesem Zustand jeden einzelnen Tag von Grund auf zu organisieren, ist ganz und gar unerträglich. Ich kann kaum atmen, wenn ich daran denke.«
12.12. – Freitag
Mir war die ganze Nacht übel. Beim Liegen war mir schwindelig, aber auch, wenn ich wankend im Badezimmer stand und ins Klo guckte. Ich konnte jedes Mal noch gerade so vermeiden, es zu umarmen.
Als ich einmal unvorsichtig aufstand, wälzte Harpa sich herum und murmelte etwas. Ich sagte, dass ich ein bisschen schlapp sei. Sie ist schnell wieder eingeschlafen. Und auch ich muss geschlafen haben, jedenfalls bin ich aufgewacht, als sie fertig angezogen im Dunkeln an meiner Bettseite stand und mir über Wange und Stirn streichelte: »Ich glaube, du solltest heute zu Hause bleiben.«
Sie machte das perfekt, streichelte nicht zu zart, ließ die Hand nicht zu lange auf der Stirn, sprach langsam und atmete in die darauf folgende Stille durch die Nase aus – das war eine perfekte Mischung aus Fürsorglichkeit und Hohn.
14.12. – Sonntag
Zur selben Zeit als Harpa mit dem Haareglätten aufhörte, fing sie wieder an, Haarspangen zu benutzen. Sie hat viele davon, und die meisten hatte ich ewig nicht gesehen. Sie wirken an ihrem Kopf wie schonungslose Denkmäler, die an vergangene Zeiten erinnern. So wie die, die sie heute Morgen getragen hat, eine Silberspange in Schmetterlingsform mit kleinen, durchsichtigen Steinen: rosa, rot, blaugrün, gelb, … Ich erinnere mich, dass ich mich immer von diesen leuchtenden Farben hypnotisieren ließ, wenn ich mit Harpa im Arm auf dem Schlafsofa saß und lieber auf die Spange als auf den Fernseher geguckt habe. Jetzt sitze ich allein auf dem Sofa, allein und auch nicht mehr in der kleinen Wohnung im Studentenwohnheim. Vorhin, als ich auf die Spange gezeigt habe und meinte, dass sie aber wirklich alt sei, sagte sie, dass die Spange »sehr alt und sehr gut« sei.
Ich habe Lust auf Nichtmehrdrandenkmäler.
Der Schmetterling hat sich trotz der Kälte im blonden Haar gut gemacht. Das Wetter war so freundlich und ruhig, dass Harpa die Pelzmütze zu Hause gelassen hat. Das ist das zweite Wochenende in Folge, an dem wir im Café Mokka waren. Die Veränderung war kein Kraftakt, ganz ungezwungen, kein Aufstand, ich bin Harpa einfach wie
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