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Bankster

Bankster

Titel: Bankster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudmundson
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brennender Kerze, bis eine Frau hereingetrippelt kam und sich für die Wartezeit entschuldigte, auf Englisch. Ich sagte – auf Englisch –, dass Warten nichts sei, worüber man sich ärgern sollte, und bat sie, mir alle fünfundreißig Minuten einen Cappuccino zu bringen, so lange, bis ich etwas anderes sagen würde. Es ist jetzt 11:09 Uhr, und die vierte Tasse ist soeben zwischen den anderen gelandet. Sie scheint die Anweisung vollkommen ernst zu nehmen, obwohl ich Tasse Nummer drei noch nicht angerührt habe.

11.12. – Donnerstag

    Heute hat Papa seinen Einundsechzigsten. Ich habe morgens angerufen, um ihm zu gratulieren und ihn zu bitten, das Sechzigstergeburtstagsgeschenk als Geschenk für das ganze siebte Jahrzehnt zu betrachten. Er lachte und sagte »Na klar, mein Lieber«, was er das ganze Telefonat über sehr oft machte: »mein Lieber« oder »mein lieber Freund« sagen.
    Wir haben länger miteinander gesprochen als gewöhnlich. Ich war ganz geistesabwesend und sagte, dass es mir einigermaßen gehe, nicht wie sonst, dass alles in Ordnung sei, und Papa wollte wissen warum. Ich wusste nicht warum, fand aber, dass »einigermaßen« in Bezug auf das seelische Befinden nicht schlechter als »in Ordnung« ist. Er war sich da nicht so sicher. Ich habe ihm vorgeschlagen, Mama zu fragen, sie werde ihm erklären, dass »einigermaßen« früher einmal das Beste von allem war: Was »einigermaßen« war, war erste Wahl. Da meinte Papa, dass das Wort in den letzten Jahrhunderten beträchtliche Einbußen erlitten hätte … Nachdem ich ihm alles Gute und so weiter zum Geburtstag gewünscht hatte, haben wir einige Minuten lang über das Schicksal des Adverbs einigermaßen gesprochen – vielleicht, um wenigstens miteinander geredet zu haben, wenn wir schon nicht zusammen sein konnten, dann wenigstens in Kontakt gewesen zu sein, ohne wunde Punkte zu berühren – deshalb wurde das Telefonat länger als sonst.
    Gegen Mittag hat die Türklingel gepiept. Ich zögerte, bevor ich aufstand, hatte nur noch ein knappes Kapitel im Buch übrig und wollte es am liebsten in einem Rutsch zu Ende lesen. »Nein, ich wollte dich nur eben mal checken, habe ganz in der Nähe einen Parkplatz gefunden und fand es blöd, nicht vorbeizuschauen.« Ich habe Guðni kaum wiedererkannt. Seine Stimme klang so dünn und entfernt, dass ich mir einbildete, er würde sich beim Reden von der Gegensprechanlage wegbewegen, er schien sich keinerlei Hoffnung auf eine positive Reaktion zu machen.
    Nachdem ich vor einigen Tagen Harpas Fotos gesehen hatte, war ich erschrocken, als ich die Haustür öffnete. »Du wirst ja immer dünner, Junge«, sagte ich anstelle einer richtigen Begrüßung. Er stritt es nicht ab, aber es schien ihm gleichgültig zu sein. Der pralle Bauch war fast verschwunden, aber auch der Glanz in seinem Gesicht. Die Augen waren größer, freigelegt. Er hielt verlegen eine Mütze in der Hand. Seine Schuppen waren sehr auffällig. Ich habe ihn noch nie mit Winterjacke gesehen.
    Mitten in die Stille bei unserem Gang die Straße entlang fing Guðni an, von einem Film zu erzählen, den er vor einigen Tagen auf seiner Festplatte gefunden hatte: Der Untergang. Er hatte ihn sich irgendwann nachts angesehen, diesen Kinofilm über Hitlers allerletzte Tage, die Tage im Bunker. Beim Erzählen wurde er ein wenig lebhaft: »… und dann am Ende, als er in der Patsche war, da sind sie ihm immer noch mit neuen Lösungen gekommen, mit diesem und jenem, bestenfalls Fantastereien, da hat Hitler irgendwelche längst ausgelöschten Truppen auf der Landkarte bewegt und so weiter, fast so wie bei uns, bevor sich der Höllenschlund geöffnet hat, ganz in diesem Geiste. // Irgendwer müsste sagen, dass die Hölle nun endlich geschlossen ist, Guðni, die Falltür zugesperrt und wir Teufelchen hier in alle Ewigkeit gefangen, umringt von lauter guten Menschen. // Ich weiß, ich weiß. Aber was ich so unglaublich fand, war Goebbels Reaktion, als Hitler zugegeben hat, dass alles verloren ist, dass alle versagt haben und es vorbei ist.« Dann sprach Guðni langsamer weiter, als würde er seine Erinnerung auffrischen. »Da ist er aus dem Zimmer gestürmt – ist ohne ein Wort gegangen – ja, und ist aufs Klo gelaufen und hat abgeschlossen.« Da blieb Guðni ganz stehen, schwieg, als ob sich die letzten Wörter den Weg freisprengen würden und er sie schon während des Formulierens bereute: »Ich bin auch aufs Klo gerannt, nachdem uns gekündigt worden ist, und ich habe

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