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Bankster

Bankster

Titel: Bankster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudmundson
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dasselbe wie Goebbels gemacht, mich im Spiegel angestarrt …«
    Es schauderte mich, als ich erkannte, dass er damit auch meine Reaktion ziemlich gut beschrieben hatte: Zuerst wollte ich ein paar hoffnungslose Mails beantworten, die sich angesammelt hatten, und ich war fast fertig mit der ersten, als meine Finger an der Tastatur festfroren und ich dachte: »Das ist vorbei, das ist vorbei, Mann. Was machst du da?!« Und plötzlich war ich auf der Toilette, schaffte es gerade noch, abzuschließen und den Wasserhahn aufzudrehen, bevor ich vor meinem Spiegelbild die Fassung verlor.
    Ist das die Standardreaktion in unerträglichen Situationen, etwas Allgemeinmenschliches, an einen ruhigen Ort mit Spiegel zu fliehen und sich selbst anzustarren, als würde man etwas suchen, vielleicht einen Beweis dafür, dass man trotz allem immer noch existiert, man aber nichts sieht, außer dass das Gesicht verschwimmt und ins Waschbecken rinnt? Es wurde jedenfalls ziemlich oft an der Türklinke gerüttelt, während ich dort drinnen war.
    Ich war überrascht, dass so viele da waren. Ich hatte damit gerechnet, dass nach einigen Wochen immer weniger zu den wöchentlichen Treffen kommen würden. Wir saßen zu zwölft an einem großen Tisch, an dem es genug Platz für alle gab. Einige redeten mit dem Kellner wie mit einem guten Bekannten, sagten »Ja, unbedingt das Gleiche wie beim letzten Mal« oder »Nein, ich hätte lieber etwas anderes, mal wieder was Neues ausprobieren«. Alle haben ein Glas Wein bestellt, ich auch, einen halbtrockenen Fusel. Vielleicht zähle ich auf, wer am Tisch saß: Markús, Guðni, Edda, Jón Egill, Júlíus, Þorgerður, Hlíf, Auðbjörg, Jón Örn, Andri, Berglind und Svanur.
    Diesen Svanur hatte ich vorher noch nie gesehen, er ist Berglinds neuer Freund, lacht und redet wie ein überzeugter Grasraucher. Dann habe ich erfahren, dass Júlíus und Þorgerður nach monatelangen Gerüchten jetzt offiziell zusammen sind. Daher war ich auch nicht besonders überrascht, obwohl sie lachten und schworen, dass das Gerücht nur ein solches gewesen sei, ein reines Gerücht, das sie aber schlussendlich zusammengebracht oder zumindest das Eis zwischen ihnen geschmolzen habe. Erst als sie sich im Oktober in einer Kneipe in der Stadt begegnet seien und über »uns beide und dieses Gerücht« geplaudert hätten, seien sie sich näher gekommen und hätten sich danach erst ab und zu, dann immer regelmäßiger getroffen, bis Júlíus plötzlich eine Zahnbürste in Þorgerðurs Wohnung hatte.
    Bevor das Essen kam, bin ich auf die Toilette gegangen. Der Spiegel über dem Waschbecken war überdimensional groß, und ich nahm mir nach dem Händewaschen Zeit, um vor ihm über Guðni, Goebbels und mich selbst nachzudenken, ich sah uns drei mit strammer Haltung Seite an Seite nebeneinanderstehen und in den Spiegel blicken. Nur ich wusste von den anderen, die beiden weder von mir noch vom jeweils anderen. Ich habe seinerzeit den Film gesehen und erinnere mich nur noch daran, dass ich ihn gut fand, deshalb war Goebbels’ Gesicht unter seiner mit Silber verzierten Schirmmütze verschwommen, als er da so in schwarzer Lederjacke zwischen uns stand, mit einem Hakenkreuz auf rotem Grund am Oberarm. Guðni hatte eine dunkelblaue Daunenjacke an, die er bis zum Hals zugezogen hatte, ich nur meinen roten Pulli, da der schwarze Kaschmirmantel über der Stuhllehne hing.
    Ich hatte mich gerade wieder gesetzt, als sich Guðni zu mir beugte und meinte, dass er gehört habe, dass ich wieder eingestellt worden sei. Ich beobachtete meine Tischgenossen auf der Suche nach dem Sündenbock. Niemand sah verdächtig aus, alle unterhielten sich oder hörten interessiert zu. Es war mir unangenehm, vergessen zu haben, Guðni davon zu erzählen, und ich versuchte, die Sache kleinzureden, sagte, dass man mir angeboten habe, bei kleinen Projekten ein paar Fädchen in der Hand zu halten, dass aber nichts sicher gewesen sei. Er sagte, dass er es besser wisse und dass es eine höllische Dummheit sei, heutzutage einen Job abzulehnen, besonders einen so »fetten Bissen«. Ich erwiderte, dass ich den Job eigentlich gar nicht abgelehnt hätte, sondern dass der Job irgendwie mich abgelehnt hätte. Guðni verlor die Fassung und sagte nur wenig. Es gelang mir nicht, meine Entscheidung zu rechtfertigen. Guðni wurde immer unruhiger und das Schweigen länger. Das gab mir Zeit, Harpas Reaktion auf meine unbeliebte Entscheidung zu verdauen.
    Die Gruppe wurde kleiner, und es waren

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