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Bankster

Bankster

Titel: Bankster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudmundson
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wohlhabenden Vorort lebte und jeden Donnerstag in die Stadt fuhr, um einen guten Freund zu besuchen. Als er Hallgerður die dritte Woche in Folge einsteigen sah, setzte er sich zu ihr, und bis sie ein paar Stationen vor ihm ausstieg, hatten sie beschlossen, sich am Abend in einem bekannten, romantischen Restaurant zu treffen. Ich weiß natürlich nicht, was er gesagt hat, Hallgerður meinte, dass das keine Rolle spiele, aber es war sicher etwas Großartiges, großartig genug, um den Altersunterschied zu überwinden und seine Wampe, das hellgraue krause Haar und die Tintenschwärze an seinen Fingern vergessen zu können.
    Ja, ich werde Harpa später von Hallgerður erzählen. Das wird ihr gefallen. Und vielleicht kommen wir über diese unerwarteten Neuigkeiten von der alten Nachbarin auch noch auf andere Gesprächsthemen. Das ist so harmlos, dass es niemals eine Lüge werden kann – es sei denn, Harpa hat sie kürzlich getroffen, sie ist längst wieder im Lande, ist Single oder hat sogar eine Familie! Wohl kaum, die Chancen stehen in dieser Sache ziemlich gut für mich. Aber mal ganz abgesehen davon, ob ich dichte oder nicht – wenn ich Hallgerður vorhin getroffen und sie mich auf einen Kaffee eingeladen hätte, dann hätte sie mir das alles auch vorflunkern können, ich hätte ihr voll und ganz abgekauft, dass sie einen sechzigjährigen Komponisten als Freund hat, sie zusammen kinderlos in einem ehrwürdigen Berliner Vorort wohnen und Hallgerður jeden Sonntagnachmittag Mobiles aus Flohmarktnippes bastelt, während der Alte mit seinen Enkelkindern aus erster Ehe im Garten spielt.
    In der Realität ist es mittlerweile 21:44 Uhr, und Harpa ist immer noch bei ihrer Schwester.

16.12. – Dienstag

    Willenlos bin ich durch die Straßen gezogen. Wie so oft bin ich die Straße runtergelaufen und gerade noch rechtzeitig vor der Bank abgebogen, durch die Posthússtræti und quer über den Austurvöllur, neben und unter erleuchteten Bäumen her und in die Kirkjustræti hinein. Auf Höhe des soliden Zauns um die archäologischen Ausgrabungen wurde ich langsamer. Dort wird Islands letztes Partyzelt bewahrt, weiß und rechteckig, und es hat sicher mal etwas anderes abgeschirmt als säuberliche Erdgruben. Für die Zuschauer war eine Nachricht am Zaun befestigt, schwarzer Edding auf blankem Schreibpapier: Do not feed the archaeologists / Archäologen nicht füttern. Einige von ihnen standen an der Hüttentür auf dem Ausgrabungsgelände und rauchten, alle in matschigen Arbeitsoveralls, und alle froren. Müsste es nicht »bibbern« heißen, was sie da machten, vielleicht »rauchend bibbern«, oder »bibbernd rauchen«? Wie dem auch sei – unter ihnen war ein zierliches Mädchen, das eine zerknitterte, handgedrehte Zigarette unter einer viel zu großen, grobmaschigen Wollmütze rauchte. Weder die Zigarette noch die Mütze passten zu dem Gesicht, das mich vor dem unnachgiebigen Zaun stillstehen ließ.
    Ich ging weiter und setzte mich in das Hotelcafé, in dem ich schon vor ein paar Tagen gewesen war, genauer gesagt, am Morgen des 8. Dezembers. Bevor ich reinging, sah ich draußen Plakate für die Ausstellung im Keller, Reykjavík 871 +/– 2. Jetzt sitze ich genau dort, wo früher mal die Hütte eines Siedlers war. Hier haben Leute gewohnt, von hier aus auf die Welt geblickt, halt nur nicht jetzt, sondern zu einer anderen Zeit – aus geologischer Sicht erst vor kurzem, die Berge ringsum sind noch genau dieselben.
    Diesmal sind sogar Leute hier, nicht wie beim letzten Mal nur die Bedienung, sondern auch an einigen Tischen. Alles Touristen, scheint mir. Die Zahl der Businessleute ist sicher geschrumpft. Vielleicht nimmt ein allein reisender Bevollmächtigter ausländischer Kreditgeber hier gerade ein spätes Abendessen zu sich, bevor er aufs Zimmer geht, zwischen den Fernsehsendern hin und her schaltet, sich einen runterholt, während er mit seiner Ehefrau schmutzige Worte am Telefon wechselt, den Wecker stellt und Probleme beim Einschlafen hat.
    Ich komme nicht über dieses seltsame Gefühl hinweg, genau hier zu sitzen und Bier zu trinken, im Luftraum, den der Siedler durchblickt hat, wenn er vor seiner Haustür stand und direkt nach oben geguckt hat, vielleicht nachdem er gerade Thor oder Freyr etwas geopfert hatte, ein bewölkter Dezemberhimmel über ihm, wie jetzt, genau derselbe Himmel wie jetzt – der Himmel bleibt immer derselbe, in einem gewissen Sinn, und Hallgerður war vermutlich schon immer eine Lesbe.

18.12. –

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