Bankster
gewöhnlich gefolgt.
Aber auch dort drängeln sich die Leute fast genauso wie an all den anderen Orten. Das war früher nicht so, alle Cafés voller Leute. Ich bin nicht sicher, aber ich habe den Eindruck, dass der Zuwachs mit den Samstagsdemonstrationen auf dem Austurvöllur in Verbindung steht. Viele scheinen gerne davor oder danach einen Kakao mit Sahne zu trinken und ein Stück Kuchen zu essen und zu diskutieren, aber das erklärt natürlich nicht diesen wahnsinnigen Andrang an Sonntagen. Ich erinnere mich, mal gehört zu haben, dass die Französische Revolution ihre Ursprünge in den Pariser Kellercafés hatte. Die Idealisten haben schwarzen, blutdicken Kaffee in sich hineingekippt, mit Bohnen aufgebrüht, die von Sklaven auf den Plantagen auf Haiti oder Martinique verarbeitet worden waren, und dabei ununterbrochen über Freiheit geredet. Vielleicht braut sich ja gerade eine Isländische Revolution zusammen, die Heißekakaorevolution?
Trotz der vielen Leute haben wir einen Platz hinten auf der Bank gegenüber der Theke gefunden. Die ganze Zeit über saßen sechs Kerle bei uns, die sich lebhaft unterhielten, 1,75 Meter der Bank und drei Hocker waren mit isländischen Männern in den Fünfzigern besetzt, die über die Situation hier im Land diskutierten. Es kam mir in den Sinn, mitzuschreiben, aber das Notizbuch lag zu Hause. Dort im Café saßen nämlich sechs Dickdärme voller Lösungen bei uns, sechs Pellen, die vor Lösungen zerplatzten, sechs Porzellanmäuler, die eine Lösung nach der anderen produzierten in Gesichtern, die wie ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs rot angelaufene Fragezeichen aussahen. Ich hörte zu, während Harpa in der Morgunblaðið-Sonntagsausgabe las. Auch auf dem Heimweg haben wir kaum miteinander geredet.
Hier im Bücherzimmer habe ich mich mittlerweile eingerichtet, mir ein eher schlichtes und cognacloses Cognaczimmer hergerichtet. Gestern habe ich den kleinen Beistelltisch unter einer Plastiktüte mit Harpas Strickversuchen hervorgezogen und ans Sofa gerückt, so dass ich eine Tasse oder ein Glas abstellen kann, wenn ich hier sitze. Im Moment steht allerdings eine Dose Malt & Appelsín auf dem Tisch, die erste von vielen in den Weihnachtstagen.
15.12. – Montag
Er sitzt auf der anderen Seite der Fensterwand, draußen im Raucherbereich an einem der Tische mit feststehender Bank. Ich habe ihn dort schon oft gesehen, diesen alten Mann.
Er sieht aus wie einer, der sich aus einem europäischen Kinofilm hierhin verirrt hat. Das graumelierte Haar ist zurückgekämmt, fettig und hält genau da, wo es liegen soll, und die Haut ist immer gebräunt. Es kommt mir vor, als würde er dort unter dem Wärmestrahler und dem halbdurchsichtigen Zeltdach auf jemanden warten. Vielleicht muss er schwere Taten beichten, aber das ist schwer zu sagen, nicht leicht aus seinem Gesicht zu lesen. Und es kommt auch nie jemand.
Ich muss ihn wohl als ausdruckslos beschreiben, wie er kettenrauchend so vor sich hin starrt, aber wenn man genau hinsieht, ist sein Gesicht trotzdem eine Ausdruckssuppe, liegen in ihm alle möglichen Gesichtsausdrücke eines langen Lebens.
Er hält die Zigarette immer dicht an sein Gesicht, muss die Augen aber trotz des Rauchs nicht schließen, weil sie unter den Falten gut geschützt sind. Wenn jede einzelne von ihnen für zehn Jahre stehen würde, wäre der Kerl Jahrhunderte alt, drei schlaffe Falten über und zwei aufgequollene unter jedem Auge, zehn auffällige Falten unter zwei auffällig schwarzen und buschigen Augenbrauen. Seine Wangen sind wie alte Orangenschalen, aller Glanz und alle Frische verloren, und trotzdem bestimmt weich.
Vielleicht fühlt sich der schwarze Wollmantel für ihn unbequem neu an, wenig verschlissen, und auch der Schal ist unter dem schlecht rasierten Hals und Kinn noch kein bisschen fusselig geworden. Wer sie wohl für diesen alten Mann gekauft hat, diese Klamotten, die betonen, wie benutzt er selbst schon ist?
Er zeigt immer noch keinen konkreten Gesichtsausdruck, alle möglichen Mienen sind dort versammelt. Und nichts in diesem Gesicht lässt erkennen, dass sich drei junge Frauen mit Weißweingläsern an den benachbarten Tisch gesetzt haben. Er raucht nur seine Höllenkippe, macht sie aus und trinkt einen Schluck Bier. Es ist nur noch wenig im Glas, das sich mit Rauch füllt, während er trinkt.
Jetzt hat sich ein Mann zu ihm gesetzt. Er ist zwischen dreißig und vierzig und sieht genauso südländisch aus. Vielleicht sind sie aus demselben
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