Bankster
haben, die wir mal ganz fleißig mit dem Architekten geschmiedet hatten.
Nur eines wollte ich auf keinen Fall wegwerfen, die brillante Broschüre zu den Baumaßnahmen am Hafen und seiner Anbindung an die Innenstadt. Beim Durchblättern wurde mir wieder bewusst, dass das Konzert- und Konferenzhaus nur ein Bruchteil dessen war, was dort entstehen sollte, zwar ein Diamant auf der Krone, aber nur ein Bruchteil der Quadratmeter, auf denen gebaut werden sollte, ein kleines Haus inmitten von Hotels, Bürogebäuden, Luxuswohnungen, Landeplätzen für Helikopter und Heißluftballons und einem himmelhohen Turm, auf dem nachts der Mond balancieren soll. Alle Seiten voller Fotos aus der Zukunft, wahrscheinlich im Sommer aufgenommen, vielleicht an einem schönen Junitag im Jahr 2017. Die Leute aßen Eis, sahen sich um, und die meisten gingen Hand in Hand. Alles war sauber und schön und das Gras auf dem Arnarhóll grüner als grün und voller leuchtender Butterblumen. Auf einem dieser Computerbilder lief eine Frau einem kleinen Kind hinterher. Sie lief mit gebeugtem Rücken und streckte die Arme aus – und machte ein auffällig besorgtes Gesicht in dieser friedlichen Umgebung, als würde sie sich in ihrem eigenen Traum befinden und befürchten, dass dieses Kind nie existieren wird, dass es diesen sonnigen Julitag nie geben wird. Und natürlich war sie in einem Traum, nur nicht in ihrem eigenen. Sie war Teil des Traums eines Komitees, das die zukünftige Gestaltung des Stadtzentrums und des Hafens plante, für sie gab es keine Realität, aus der sie sich wegträumen konnte – ich bin schon aus unbedeutenderen Gründen besorgt gewesen. Anstatt die Broschüre zu entsorgen – Harpa hatte gemeint, dass wir jetzt mal so richtig unser Leben aufräumen, das sei ein Ausputzen –, stellte ich sie zu den Romanen ins Regal, schwor mir aber, sie zu zerreißen, sobald eines der Gebäude eingeweiht wird.
Gemessen daran, wie tief wir gegraben haben, war es nicht verwunderlich, dass wir auf die Zeitung gestoßen sind. Sie lag in einem Papierstapel in der Ecke unter der Anrichte. Harpa rief mich gedankenversunken, und da ich aus ihren Worten die Vorfreude heraushörte, ging ich schnell zu ihr. Sie saß auf dem Boden, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Ich kniete mich zu ihr, und wir sahen uns gemeinsam den aufregenden Fund an, blätterten vorsichtig um, als hätten wir ein unschätzbar wertvolles Pergamentmanuskript vor uns. Anfangs haben wir immer wieder losgeprustet und auf Dinge gezeigt, bald aber mussten wir lachen, und als wir uns ansahen und mit Blicken signalisierten, dass wir darüber eigentlich nicht lachen sollten, haben wir erst recht Tränen gelacht.
Die Zeitung war unglaublich dick, wenn man bedenkt, dass in jenen Tagen selten etwas passiert ist, das man heute als Nachricht bezeichnen würde. Auf der Titelseite, über einem Artikel zu einer Umweltkrisensitzung, bekräftigten einige Lachsfischer per Handschlag ihre Freude über einen frischen Fang, ein bisschen weiter hinten hatte der Stadtrat den Durchbruch zwischen zwei Gebäuden auf dem Laugavegur erlaubt, in der Kinderferienwerkstatt in Breiðholt war in einigen Hütten Durchfall ausgebrochen, eine Seite zum Stand der Kraftwerke, unzählige Doppelseiten voller Anzeigen von Immobilienunternehmen und einzigartiger Gelegenheiten, Land zu kaufen, und in einer hochwertigen Beilage wurde ein Wohn- und Pferdehaus auf einem riesigen Gutshofgelände in Suðurland beschrieben. Allein Nachrichten über die beständig schlechte Wirtschaftslage in Zimbabwe und die wachsende Schlagkraft der iranischen Streitkräfte zeigten, dass wir trotz allem immer noch in derselben Welt lebten, um die es in der Zeitung ging.
2. Februar – Montag
Die Hallgrímskirche hat mich heute Abend umgehauen. Wie immer habe ich sie erst wahrgenommen, als ich den Hügel schon fast bewältigt hatte, daher sah ich fast nichts außer dem Turm vor mir, nachdem ich die letzte Straße überquert und den Blick gehoben hatte, er ragte dort vor mir auf, wo ich eine mit Baugerüst und Sicherheitsnetz umhüllte und von den Strahlern ringsum beleuchtete Kirche aus skandinavischem Marmor erwartet hatte, aber dort stand etwas ganz anderes, in der Tat ein Gotteshaus, aber ganz anders als die Hallgrímskirche, zum ersten Mal in meinem erwachsenen Leben empfand ich Ehrfurcht und eine Ahnung von der höchsten Macht im Himmel, machte eine göttliche Erfahrung mit entsprechender Gänsehaut und Tränenansammlung im Auge, stand
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