Bankster
wie versteinert beim Hotel an der Ecke und staunte, bewegungslos bis auf den Kopf – ich konnte nichts anderes tun, als ihn mit offenem Mund langsam zu schütteln.
Durch den heutigen Schneesturm – der Grund dafür, dass ich eher spät nach draußen gegangen bin – hatte sich auf dem Netz um das Baugerüst Schnee angesammelt, und als es aufgehört hatte zu schneien und der Wind sich gelegt hatte, ist er runtergefallen, aber nicht zufällig – der Zufall ist bei einer solchen Vollkommenheit ausgeschlossen, es sei denn, er bedingt sie –, jedenfalls sah ich dort vor mir im Netz ganz deutlich die Silhouette des großartigsten Bauwerks, das je auf der Welt gesehen wurde, dessen bin ich mir sicher, es hatte so wenig mit von Menschenhand geschaffenen Gebäuden gemein, dass selbst die Gaudí-Kirche in Barcelona im Vergleich dazu klobig und unoriginell ist.
Vier Türme schraubten sich zu scharfen Spitzen empor, einer deutlich größer als die übrigen und keiner wie der andere, zwar alle im selben Stil, ansonsten aber frei geformt. Der große Turm befand sich ungefähr in der Mitte, und in ihm war der Eingang. Auch die Tür war natürlich besonders, schon eine richtige Tür, aber eine Tür, wie sie im Traum kein Mensch zimmern könnte, das gesamte Bauwerk war so, keine geraden Linien, nirgendwo, der Schnee war mit feinsten Werkzeugen gemeißelt worden, mit winzigen Eisen und sensiblen Händen. Löcher und Furchen bildeten Fenster und Verzierungen, die kleine Schatten auf die Türme und den Hauptteil des Bauwerks warfen. Die meisten Fenster waren hoch und schmal, aber alle unterschiedlich, so ungleichmäßig, wie sie waren, müsste man sie wahrscheinlich eher Löcher oder Risse nennen als Fenster, ungleichmäßig, aber geradezu vollkommen im Gesamtbild, das diese siebzig Meter hohe Schneekirche abgab. Ich erinnere mich nicht daran, irgendwo ein Kreuz gesehen zu haben, abgesehen von dem, das ganz oben aus der Baugerüstfestung herausragte und das ich geradezu durchschimmern sah.
Ich glaube zwar nicht, dass Gott dafür verantwortlich war, und auch nicht seine Engel, aber ich habe einen unglaublichen Nervenkitzel gespürt und bin froh, dass mir und nicht jemand Religiöserem dieser Anblick zuteilwurde. Das Wetter war kein bisschen besser geworden, so dass die Passanten niedergeschlagen unter ihren Mützen hervorlugten und sich mit den Händen in den Taschen voranschlugen. Bei den heftigsten Windstößen wurde Schnee aufgewirbelt, der dieses temporäre Meisterwerk verdeckte – nein, dieses pure Meisterwerk aus Eiskristallen. Wenn sich da an der Hallgrímskirche mal nicht Gaudís Kopf geöffnet hat und ich die Ideen zu seinem Meisterstück gesehen habe, die sich in Barcelona in prächtige Wirklichkeit verwandelt haben … Die Wirklichkeit ist nie etwas anderes als eine Sammlung schlecht kopierter Ideen.
9/2 – Montag
Ich wollte das Buch erst jetzt aus der Tasche holen. Möglicherweise weil ich in letzter Zeit so oft hier gewesen bin und die Kellnerin schon weiß, was ich will, und sie mich seit neuestem fragt, ob es mich störe, wenn sie den Fernseher lauter mache, um die Videoclips besser hören zu können. Möglicherweise weil es für mich so heimelig geworden ist, finde ich es in Ordnung, das Buch herauszuziehen und ein bisschen zu schreiben. Wir sind auch normalerweise zu meiner Zeit, wenn die letzten Kinder aus der Schule kommen, nur zu zweit hier.
Obwohl die neue Regierung eine Woche alt ist und die Demonstrationen vor genauso langer Zeit aufgehört haben, laufe ich immer noch lieber auf dem Skólavörðuhügel herum als im Zentrum, und ich komme zum Essen nach wie vor hierher, wenn ich vermute, dass Harpa unterwegs ist. Die Hamburger sind richtig gut, und auch die Umgebung passt gut zum Hamburgeressen: holzgetäfelte, grüngestrichene Wände voller volkstümlicher Kunst und Spiegel, die ganz unverschleiert Werbung für Alkohol- und Limonadensorten machen. Als ich zum ersten Mal hier war, habe ich einen Luxusburger mit zwei Eiern und Cola gegessen, aber ohne Pommes und Cocktailsauce, und mich bis jetzt an diese Bestellung gehalten. Die Mahlzeit passt genau, der letzte Bissen reicht gerade aus, um das Eigelb vom Teller zu putzen, und dann ist noch genug Cola im Glas, um den Mund von Essensresten zu befreien.
10/2 – Dienstag
Als ich zum ersten Mal hier war, saß ich am selben Tisch wie jetzt, am selben Tisch wie gestern und all die anderen Male. Durchs Fenster sehe ich direkt auf die Austurbæjarskóli –
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