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Bankster

Bankster

Titel: Bankster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudmundson
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die Oststadt-Schule. Es ist mehr als der Name auf dem Gebäude, was an Ostdeutschland erinnert, zum Beispiel die vertrauenerweckende Standhaftigkeit. Die Schule gehört wie das Staatstheater, das Schwimmbad und das Einar Jónsson-Museum zu den Festungsbauten, einer kleinen Gruppe, die gerne hätte größer sein dürfen.
    Der Strom der Schulkinder ist größer als an den anderen Tagen. Es sind immer viele, die in Autos und um die Ecke verschwinden, aber nie so viele wie heute, wie an Dienstagen. Trotz der Dunkelheit, die sie empfängt, sind sie glücklich, rennen, und überall blinken ihre Reflektoren. Sie sind das Lebhafteste an diesen kalten und dunklen Nachmittagen: die Reflektoren der Schulkinder auf dem Heimweg.
    Als ich zum ersten Mal hier war, habe ich während meiner Mahlzeit auf der anderen Straßenseite an der Ecke ein Mädchen bei der schiefen Laterne stehen sehen und aufgehört zu essen. Etwas an ihr hat mich angesprochen, etwas Vertrautes. Sie wirkte auffällig klein dort vor ihrer Schule, vor der rauen, rußigen Wand, aber gleichzeitig strahlte sie, so dass die Glühbirne in der Laterne über ihr schwach wirkte, als würde sie gerade noch so glimmen. Schon bald kam ein Auto angefahren, das sie erkannte. Sie machte einen Schritt nach vorne und schwenkte ihre Jacke ein kleines bisschen. Ich dachte unwillkürlich, dass sie die warme Jacke besser anziehen sollte, anstatt sie so sorglos in den Händen zu halten, und dass sie ihre Mütze richten sollte, sie über die Ohren ziehen. Es war nicht das richtige Auto, und sie sah sich weiter aufmerksam um. Und wie sie so um sich schaute, so konzentriert mit schnellen und entschiedenen Kopfbewegungen, wie sie so dastand und sich nach vorne lehnte, um dem Gewicht der Schultasche etwas entgegenzusetzen, das war unangenehm vertraut. Ich sah sie unruhig an und grübelte. Der Hamburger wurde kalt, und das Eigelb stockte auf dem Teller, bis ich mit einem Mal alles verstand und mich ein kräftiger Schauder durchfuhr, hoch und runter raste er durch meinen Körper, während ich dieses Mädchen ansah, das Harpas Tochter hätte sein können.
    Der Verdacht war unerträglich. Ich aß weiter, obwohl ich keinen Appetit mehr hatte, starrte auf die dunkelbraune Tischplatte, während ich große Bissen in mich hineinstopfte und ohne zu kauen schluckte und die Musik aus dem Fernseher hörte, versuchte, den Liedtext zu verstehen, um auf andere Gedanken zu kommen, doch als ich es nicht länger aushielt und wieder aus dem Fenster sah, stand die Kleine nicht mehr an der Laterne, bis heute ist sie nicht mehr dort gewesen.

14/2 – Samstag

    Harpa hatte eine ganze Weile aus dem Fenster gesehen, als sie auf die Idee kam, einen Spaziergang durch die Heiðmörk zu machen: »… sind den ganzen Winter über nicht dort gewesen, und schöner als heute wird das Wetter nicht.«
    Eine Stunde später hatten wir Wanderschuhe und Jeans an und waren auf dem Weg dorthin. Eva Cassidy lag im CD-Player und sang gleich los, als ich den Jeep anließ. Gute Sängerinnen mag Harpa sehr, die Musikrichtung spielt fast keine Rolle. Sie sah aus dem Seitenfenster und hörte zu, hatte die Knie geschlossen und die Hände auf die Beine gelegt und klopfte mit den Fingern den Takt, hörte aber nach vier oder fünf Liedern auf, als Eva zu Over the rainbow anhob. Da fing Harpa plötzlich an, mitzusingen, erst ganz leise und vorsichtig, aber nach einigen Tönen wurde ihre Stimme kräftiger, und sie sang mit voller Kraft. Ich bewegte meinen Daumen unauffällig in Richtung Lautstärkeregler und stellte die Musik leiser. Die letzte Strophe sang Harpa allein. Sie sang die höchsten und niedrigsten Töne, mal mit vibrierender, mal mit fester Stimme, durch ihre Nuancierung drang der Text bis in mein Innerstes vor, und meine Gänsehauthärchen pieksten durch drei Schichten Hightech-Kleidung.
    Ich habe sie noch nie so singen hören, aus voller Kehle wie auf einer Bühne. Ich merkte, wie die Klangwellen in meinem Kopf ankamen und ich die Kontrolle über meine Atmung verlor, sie immer schneller und flacher wurde, und als Harpa das Lied mit einem langen Ton beendete, wollte ich so viel Positives sagen, nicht nur dass dies das erste Privatkonzert gewesen sei, das sie in nüchternem Zustand für mich gegeben habe, und dass es das Warten wert gewesen sei, doch ich wollte dieses Ereignis nicht durch einen Witz schmälern – deshalb schwieg ich. Es war das letzte Lied auf der CD. Ich habe sie nicht noch einmal abgespielt. Nur das leise

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