Bankster
überkam mich ein unwiderstehliches Bedürfnis, die Fäuste zu ballen und vor Unzufriedenheit zu schreien, daher habe ich mich schnell auf den Weg zum Austurvöllur gemacht.
Unterwegs hatte ich ein seltsames Gefühl. Das Foto mit den NATO-Demonstranten schoss mir durch den Kopf, dieses schwarz-weiße, auf dem Polizisten vor fünfzig oder sechzig Jahren Tränengas auf unzufriedene Bürger abgefeuert haben, und es kam mir ein wenig so vor, als würde ich in das Foto hineinlaufen, bewusst auf dem Weg in ein geschichtsträchtiges Bild sein, das noch zu schießen sein würde; aber das änderte sich, als ich ankam. Die Geschehnisse waren weder schwarz-weiß, noch sahen sie nach Tränengaswolken aus, das Pfefferspraylevel, auf dem sie sich befanden, würden sie wohl kaum überschreiten. Es waren zu viele Kinder mit ihren Eltern dort, zu viele junge Leute liefen herum, und am Feuer, das ein schwaches Licht aufs Alþingishús warf, wurde noch zu laut und deutlich gesungen. Ich trat langsam näher. Als ich an der Statue von Jón Sigurðsson vorbei war, sah ich, wie sich eine kleine Gruppe Demonstranten am großen Weihnachtsbaum zu schaffen machte, einer war schon hinaufgeklettert, während andere versuchten, die Drähte zu lösen. Ich dachte sofort, dass der Baum sicher großartiges Feuerholz für das Protestfeuer abgeben wird, das Geschenk der Osloer schien in diesem Jahr ziemlich groß zu werden: zuerst ein kerzengeschmückter Riesenweihnachtsbaum, dann Öl auf dem Revolutionsfeuer.
Vor meinen Füßen lag eine verbeulte Macintosh-Pralinendose auf dem festgetrampelten Schnee. Ich hob sie auf und trat ohne zu zögern näher. Nach einigen Schritten sah ich Feuerzungen flackern, das Menschenmeer zerfiel in Individuen, riesengroße, tanzende Schatten auf der Wand hinter den Polizisten, die mit Maske und Schild Wache standen, ich fühlte die Schlagwellen der Trommel- und Topfschläge auf meinem Körper, ein Mann schob mir sein Fahrrad in den Weg und klingelte im richtigen Takt, im Takt, zu dem das Feuer tanzte und vor dem ich scheute, ich kann es nicht anders nennen, dieses klare Bedürfnis, von dort wegzukommen, das mich auf der Stelle kehrtmachen und erst hinter einem kahlen Busch anhalten ließ. Ich spähte durch die Zweige. Das Feuer ragte jetzt hoch über die Menschenmenge hinaus und erinnerte mich an jene Feuer, die abends in kleinen afrikanischen Dörfern angezündet werden, um in der Nacht die Raubtiere fernzuhalten, jedenfalls hatte es dieselbe Wirkung auf mich wie auf einen alten Löwen, ich konnte nicht anders, als umzudrehen und mich vom Licht zu entfernen und dabei über die Schulter zu beobachten, was um es herum geschah. Ein schwarzgekleidetes Wesen zündete zwischen mir und dem Feuer eine Signalfackel an. Sie war so leuchtend rot, dass ich wegsehen musste. Einige Schritte von mir entfernt, noch weiter weg vom Feuer, stand ein einsamer Mann, der mit einem Hammer auf einen Topf schlug. Ab und zu flogen unter den Hammerschlägen Funken auf, aber sie waren nichts im Vergleich zum Funkenflug am Feuer, als es endlich gelungen war, den Baum zu fällen und in Position zu bringen.
Ich war hierhergekommen, um die Fäuste zu ballen, gegen die Situation zu protestieren und Veränderungen zu fordern, aber ich war völlig fehl am Platz, bei der Beerdigung eines Unbekannten. Wie dumm es war, geglaubt zu haben, dort vor dem Alþingishús etwas anderes als ein Ventil zu finden, denn diejenigen, die dort arbeiten, haben mit meinem Problem nichts zu tun, jedenfalls können sie mir wohl kaum den Gefallen tun, die Zeit mit einem Schlag um sieben Jahre zurückzudrehen und mir eine zweite Chance zu geben.
Erst als mir die Macintosh-Dose an der Haustür hinderlich wurde, fiel sie mir wieder ein, und ich ließ sie rappeln.
25. Januar – Sonntag
Ach, keine Ahnung – oder doch: Wir haben beschlossen, heute aufzuräumen statt ins Café zu gehen, was wir natürlich trotzdem gemacht haben, ehrlich gesagt haben wir uns sogar noch ins Schneegestöber verkrümelt, bevor wir zum Staubsaugen und Putzen kamen.
Vorher hatten wir im Wohnzimmer aufgeräumt, den Weihnachtsschmuck verstaut, einige Tüten mit unwichtigen Arbeitsunterlagen gefüllt, die sich in der Wohnung gestapelt hatten, vor allem hier im Cognaczimmer, und die Zeichnungen vom Grundstück und dem Haus, die wir irgendwann einmal vorhatten, ungefähr jetzt fertig zu machen, haben wir auch weggeworfen, als wir in unserer abgelaufenen Zukunft aufgeräumt und die Pläne entsorgt
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