Bannkrieger
Belagerungszeit bedurft hätte, Greifenstein auf herkömmliche Weise zu bezwingen. Allein der Versuch, die Flussgabelung mit Flößen oder Behelfsbrücken zu überwinden, hätte zahllose Menschenleben gekostet, und anschließend hätten noch die riesigen, wie von Zyklopen erbauten Mauern überwunden werden müssen, die zu hoch für jede Sturmleiter waren. Zerbes Plan war die einzig vernünftige Möglichkeit, diese mächtige Stadt zu erobern, das musste Alvin neidlos anerkennen.
Vielleicht war er dem Lederhäuter gegenüber doch zu misstrauisch gewesen.
Vor der Bastion, am diesseitigen Ufer, stauten sich die Besucher, die die Brücke zum Haupttor passieren wollten. Wie aus den Gesprächen der vor ihnen wartenden Bauern zu hören war, kontrollierten die Stadtwachen an diesem Tag besonders genau. Die iskandische Invasion war noch nicht durch königliche Trommler verkündet worden, trotzdem kursierten die ersten Gerüchte.
Ein aus der Gegend um Obuk stammender Händler wusste etwa von Wechselgängern zu berichten, von Menschen, die wie alte Freunde aussahen, in Wirklichkeit aber schwarzmagische Ebenbilder waren, die aus Zusammenballungen krabbelnden Geschmeißes bestanden.
Wegen der langen Wartezeit wurde viel und laut geredet, nur Hormuk und seine Mannen gaben sich wortkarg. Obwohl sie es verstanden, ihren iskandischen Zungenschlag zu verbergen, war es doch am sichersten, so wenig wie möglich zu sprechen.
In der warmen Nachmittagssonne döste Alvin ein wenig vor sich hin. Rogge tat es ihm gleich. Sobald es ein Stück weiterging, trotteten ihre Ochsen von allein los und blieben auch wieder beizeiten stehen. Die beiden Männer wurden nur einmal richtig aus dem Schlaf gerissen, und zwar als ein stählerner Vierspänner an ihnen vorbeijagte.
Alvin rieb sich verwundert die Augen. Ein Gefährt wie dieses hatte er noch nie zuvor gesehen. Hinter dem Gardisten, der die Zügel führte, ragte ein hoher Käfig auf, der die komplette Ladefläche einnahm.
Zwischen den dicken, mit Flugrost besetzten Gitterstäben kauerte ein einzelner Gefangener. Von dem Unglücklichen war kaum etwas zu sehen, denn er trug einen langen Ledermantel, der seine Gestalt verhüllte, doch unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze lugten einige weißblonde Strähnen hervor.
»Was mögen die mit dem Kerl vorhaben?«, fragte Rogge und gähnte herzhaft. »Ob sie ihn unterm Strick tanzen lassen?«
»Glaub ich nicht.« Alvin spuckte zur Seite hin aus. »Das könnten sie an jeder Wegkreuzung tun. Dafür reitet doch niemand ein Dutzend Pferde zuschanden.«
Der Vierspänner hatte tatsächlich einen aus acht Männern bestehenden Geleitschutz. Zwei der Berittenen trugen Roben der Jadepriesterschaft, die Übrigen waren Gardisten. Wer auch immer dort vorgeführt wurde, musste mächtige Freunde haben, die ihn zu befreien drohten.
Der rollende Käfig überholte die Wartenden und drängte sich ohne lange Erklärungen an der Bastion in die Schlange. Von den Bauern, Händlern und übrigen Besuchern wagte niemand aufzubegehren. Die Gefahr, ebenfalls im Käfig zu landen, war allen zu groß.
Ein paar Fliegen, die über sie hinwegsummten und einige Zeit über einem Ochsengespann kreisten, lösten weitaus mehr Unruhe aus. Unnützes Geschmeiß, das keine Blüten bestäubte oder sich sonst wie hilfreich zeigte, war in Baros ein seltener Anblick, der große Irritationen auslöste.
Alvin glaubte nicht, dass das Auftauchen der lästigen Brummer ein Zufall war. Sicher kontrollierte Zerbe auf diese Weise, ob es ihnen gelang, in die Bastion einzudringen. Als sie endlich bei den Wachposten anlangten, hätte Alvin beinahe laut aufgelacht. Zwei der acht Gesichter waren ihm persönlich bekannt, und bei einem weiteren meinte er einen iskandischen Zungenschlag herauszuhören.
Es stimmte also, was die weit gereisten Barden an den heimischen Feuern verkündeten. In Greifenstein waren die Menschen so wohlhabend, dass viele von ihnen nur noch vom Handel lebten. Die einfachen Arbeiten wurden jenen überlassen, die zu ihnen flohen, um dem Hungertod zu entgehen.
Rumol, der nur einige Dörfer entfernt aufgewachsen war, riss vor Überraschung die Augen auf, als er Rogge und Alvin erkannte. Da sie ihm aber kein Zeichen des Erkennens gaben, sondern mit dem Geleitbrief aus der Kleidertruhe der Gewürzhändlerin wedelten, verhärteten seine Gesichtszüge umgehend wieder. Den Schaft seiner Hellebarde mit beiden Händen umklammert, trat er auf sie zu und nahm die mit großen Wachssiegeln
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