Bannkrieger
und eingehüllt in einen Splitterregen jagten sie ins Nichts hinaus. Einen Herzschlag lang schienen sie in der Luft zu schweben, dann stürzten sie wild strampelnd in die Tiefe, und die Deichsel mit sich reißend, katapultierten sie das Fuhrwerk über sich hinweg. Der Kutscher stieß einen gellenden Schrei aus, als er im hohen Bogen vom Bock geschleudert wurde. Während sich die Zugtiere und der Karren mehrmals in der Luft drehten, schlug er als Erstes in die wild schäumenden Fluten der Uchte.
Zwar gelang es ihm, der starken Strömung trotzend, sich noch einmal an die Oberfläche zu kämpfen, doch ein umherfliegendes Wagenrad des zerschellenden Karrens traf ihn so brutal am Kopf, dass ihm der abknickende Hals bis zum Nackenwirbel aufgerissen wurde. Von den Fluten mitgezogen, verschwand er in einem brausenden Strudel, dessen weiße Krone sich rötlich färbte.
Die beiden Ochsen ersoffen elend, denn die an der Deichsel hängenden Karrenreste zogen sie unbarmherzig mit auf den Grund. Auch der Gardist, der mit in die Tiefe geschleudert worden war, tauchte nie wieder auf.
Nur sein Kamerad, der rechtzeitig losgelassen hatte, lebte noch. Völlig in sich zusammengesunken lag er da, keine drei Schritte von der Lücke entfernt, die in der Brüstung klaffte. Das magische Geschmeiß war seit dem Überfall auf Dornhain wesentlich aggressiver geworden. Statt nur über die Ernten herzufallen, griff es auch Menschen und Tiere an. Dem verbliebenen Gardisten hatte es nicht nur die Uniform vom Leib gefressen, sondern auch große Teile seiner Haut. Ob er mit diesen Verletzungen tatsächlich besser dran war als die Ertrunkenen?
Vermutlich fragte sich das auch die Handvoll Wachen, die sich nur zögernd aus Richtung des Haupttores näherten, weil sie die dreißig Königsschritte entfernt wogenden Insektenwolken mehr fürchteten, als sie dem Schutz des Schwingenschilds vertrauten.
Dass Rorn die dramatischen Ereignisse an der Brücke selbst über die weite Entfernung hinweg bis in alle Details verfolgen konnte, schlug ihn dermaßen in den Bann, dass er sich zunächst gar nicht über das Ausbleiben des eigenen Aufpralls wunderte. Als ihm aber dieser Gedanke kam, normalisierte sich sein Blick, so als würde sein Geist, der auf Wanderschaft gegangen war, wieder in den Körper zurückkehren, und als er dann in die Tiefe sah, wurde ihm klar, dass er keineswegs jäh zur Erde stürzte, sondern nur sehr langsam absank.
Verwundet stellte er fest, dass Grimmschnitter ein helles Licht entströmte, dessen Farbton dem des Strahls aus dem Schwingenschild glich und Rorns Leib wie eine zweite Haut umgab. Es war nur mit Magie zu erklären, dass er das Geschehen am jenseitigen Ende der Stadt so genau hatte beobachten können und derart langsam auf das Hofpflaster hinabschwebte. Ob es die von Grimmschnitter war oder die des Schwingenschilds oder eine Kombination aus beiden, hätte er jedoch nicht zu sagen vermocht.
Keuchend drehte er sich in der Luft, breitete die Arme zu beiden Seiten hin aus und streckte die Beine nach unten durch. Sein Mantel wölbte sich glockenförmig auf, ähnlich zwei sich entfaltenden Lederschwingen, während Rorn von Licht umflort zu Boden schwebte.
Es war ein unwirkliches, aber keineswegs unangenehmes Gefühl, auf diese Weise hinabzugleiten. Knapp eine Mannslänge über dem Steinpflaster versiegte jedoch der in Grimmschnitter gespeicherte Lichtfluss. Als das Schwert und der Rorn umgebende Schein erloschen, wurden die Schatten auf dem Burghof tiefer. Wegen des fehlenden Sonnenlichts hatte sich tatsächlich eine allumfassende Dämmerung ausgebreitet, die wie ein schwarzes Samttuch über Greifenstein lag.
Mehr als der Verlust des Lichts schmerzte Rorn allerdings das in seinen Körper zurückkehrende Gewicht. An seinen Füßen zerrten plötzlich wieder die Kräfte, die einen Menschen von Natur aus an die Erde fesselten.
Mit einem lauten Knall trafen seine Stiefel auf dem Pflaster auf. Obwohl er in die Knie federte, zuckte ein scharfes Brennen durch seine Fußsohlen. Rorn ging in die Hocke und stützte sich mit der freien Hand ab. Er kauerte einen Moment reglos am Boden, um sich zu orientieren.
Einige Mägde und Knechte, die seinen leuchtenden Abstieg beobachtet hatten, verbargen sich furchtsam hinter dem großen Treppenaufgang und beteten zu allen ihnen bekannten Göttern, dass er sie verschonen möge. Einige andere, die Fackeln herbeigeholt hatten, leuchteten hingegen den Hof aus.
»Ergreift den Mann!«, erklang die Stimme
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