Bannkrieger
schlüpfte Rorn ohne Zögern hinein. Schon nach wenigen Schritten umfing ihn Finsternis, sodass er die Hand ausstrecken musste, um nicht aus Versehen gegen ein auftauchendes Hindernis zu laufen. Es stank nach Urin, denn in diese schmale Gasse verirrten sich höchstens ein paar Trunkenbolde, um ihr Wasser abzuschlagen.
Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, nahm er ein paar grobe Umrisse wahr. Er ging etwa zwanzig Königsschritte, bis er entdeckte, wonach er Ausschau gehalten hatte: Links von ihm endete ein Gebäude, an dem sich übergangslos ein zweites anschloss. Dazwischen prallten zwei abfallende Dächer aneinander. In dieser eng umgrenzten Stadt, die aus allen Nähten platzte, war diese Bauweise allgegenwärtig.
Rasch streckte Rorn die Arme nach beiden Seiten aus, bis er auf Widerstand stieß. Die Gasse war tatsächlich so eng, dass er sich mühelos zwischen die Fassaden pressen und in die Höhe stemmen konnte.
Seine Füße stiegen gut eine Königselle weit empor. Rasch winkelte er die Beine an und streckte sie seitlich aus. Seine vorstehenden Stiefelsohlen streiften so lange an den Steinen entlang, bis sie Halt in den bröckligen Fugen fanden und er die Beine durchstrecken konnte. Mit beiden Händen aufwärtsgleitend, suchte er eine neue Stelle, an der er sich mit bloßer Muskelkraft festklemmen konnte.
Wie in einem Kamin kletterte er auf diese Weise Stück für Stück zwischen den Häusern empor, bis er auf Höhe der aneinanderstoßenden Schindeldächer gelangte, direkt neben einem monströsen Falkenkopf, dessen weit aufgerissener Schnabel auf sein Gesicht zu weisen schien. Es war einer jener typischen Wasserspeier, die in Greifenstein zahlreiche Dächer zierten.
Rorn klammerte sich an dem Eisenschädel fest und zog sich zwischen die schindelgedeckten Schrägen. Die tönerne Rinne, die dazwischen verlief, war gerade breit genug für seine Stiefel. Um schneller voranzukommen, sprang er abwechselnd über die Schindeln beider Schrägen hinweg. Das linke Haus war wesentlich älter und früher einmal bewohnt gewesen, vermutlich, bis der Innenhof des Karrees als Speicher ausgebaut und überdacht worden war. Die auf der Hälfte der Länge angebrachte Gaube hatte man vernagelt, doch es war für Rorn ein Leichtes, zwei morsch gewordene Bretter aus dem Fenster zu lösen und ins Innere zu schlüpfen.
Warme, abgestandene Luft schlug ihm entgegen.
Drinnen erwartete ihn undurchdringliche Finsternis, doch Rorn brauchte nur eine seiner vertrockneten Schürfwunden aufzukratzen und den Blutstein daraufzupressen, und schon leuchtete der Stein auf und spendete ihm etwas Helligkeit. Viel bekam er dadurch nicht zu sehen, nur einen kleinen verstaubten Raum, dessen Tür vermauert war, um Fassadenkletterern wie ihm den Zutritt in den Rest des Gebäudes zu verwehren.
Erschöpft rutschte er mit dem Rücken an einer kahlen Wand hinab.
Er zog das Schwert aus seinem Waffengehänge und presste die schweißnasse Stirn gegen den kalten Griff, um sich ein wenig abzukühlen. »Was hat das bloß alles zu bedeuten?«, entfuhr es ihm mit einem trockenen Schluchzen. »Warum hat sich nur alles gegen mich verschworen?«
Wie zur Antwort auf seine Frage drang ein bläulicher Schein durch seine geschlossenen Augenlider. Verblüfft starrte er in den leeren Raum, in dem aus dem Nichts heraus weiße Nebel aufwallten. Die von der Mittagssonne aufgeheizte Mansarde kühlte sich innerhalb weniger Herzschläge so stark ab, dass Rorn zu frieren begann.
Zitternd starrte er auf sein Schwert, das die wabernden Schwaden zu erleuchten schien. Der Jadesplitter war die Quelle dieses unheimlichen Phänomens. Statt kaltes Frostfeuer über die Klinge zu jagen, pulsierte er von innen heraus und schuf dabei ein diffuses Zwielicht, das sich mit zunehmender Entfernung immer mehr abschwächte.
Welche Geheimnisse mochte diese Waffe wohl noch bereithalten ?
Eine in dem Nebel entstehende Verwirbelung erregte Rorns Aufmerksamkeit. Täuschte er sich, oder nahmen die ineinanderfließenden und sich wölbenden Schlieren tatsächlich menschliche Form an? Zu seiner grenzenlosen Verblüffung entstand vor seinen Augen das Bild einer kargen Felslandschaft oder einer Höhle, in der eine zerlumpte Gestalt an einem kleinen, aber stark qualmenden Feuer am Boden hockte. Angesichts der grünen Zweige, die in den Flammen verbrannten, war der sich zu allen Seiten hin ausbreitende Rauch wohl beabsichtigt.
Rorn war die Alte, die dort ohne zu husten saß,
Weitere Kostenlose Bücher