Bannstreiter
schüttelte er den Kopf. Gleich darauf zeichnete sich maßloses Entsetzen auf seinem Gesicht ab. Als wäre er gerade aus einem Traum erwacht – oder ein Bann von ihm abgefallen –, schien ihm erstmals klar zu werden, in welcher Gefahr er schwebte. Keuchend sprang er zur Seite, um möglichst schnell Abstand zu gewinnen. Ohne sich noch einmal umzusehen, rannte er zurück zum Gasthaus.
Venea sah dem fliehenden Hirten scheinbar unbesorgt nach.
Der zweite Nebelwandler wollte offenbar ihre Unaufmerksamkeit ausnutzen und hielt aus dem Stand heraus auf sie zu. Schon zwei lange Sprünge später prallte er gegen eine unsichtbare Barriere. Lautlos zerschellte sein nebelhafter Körper an einer kugelrunden Sphäre, die Venea auf Armlänge umgab.
Vier oder fünf Herzschläge lang umflossen sie pechschwarze Schlieren, die sich zu peitschenden Tentakeln verdichteten. Mit kräftigen Schlägen trommelten die Fangarme auf den unsichtbaren Wall ein. Vergeblich suchten sie dabei nach einer Lücke, durch die sie eindringen konnten. Daraufhin wallte der Nebel zurück und nahm erneut die Gestalt von Ross und Reiter an.
Das Kinn des entstellten Reiters reckte sich so stark in die Höhe, dass sein zertrümmerter Hinterkopf mit der in den Nacken geschlagenen Kapuze verschmolz. Unverständliche Laute drangen aus seinem Mund hervor. Sein Mantel und der Hinterleib des Geisterrappen verloren ihre feste Kontur.
Zerfetzten Lumpen gleich flatterten sie im Nachtwind umher. Vorderhufe und Krummschwert wirkten dagegen fester denn je.
Rorn spürte, dass der Nebelwandler alle Kraft auf seine massiven Stellen konzentrierte, um mit ihnen Veneas Schutzhülle zu zertrümmern. Unter lautem Wiehern stieg der Rappe – und verstummte schlagartig, als ihm die Hexe ihre gespreizten Hände entgegenreckte.
Im gleichen Moment, da die Steine der Schlangenarmbänder aufleuchteten, entsprangen Veneas Fingerspitzen grelle Lichtbögen, die mitten in den aufgerichteten Pferdeleib fuhren. Acht zuckende Blitze erfüllten die Nebelgestalt rasend schnell mit einem sich laufend weiter verästelnden Netzgeflecht, das Ross und Reiter von innen heraus aufzehrte. Flackernd und wabernd stand das Pferd wie festgewurzelt da, ohne einen Muskel zu regen oder sich den Gesetzen der Schwerkraft zu beugen.
Auch der zum Reiter geformte Auswuchs löste sich auf, ohne eine Regung zu zeigen. Zischend verging die hoch aufgerichtete Gestalt zu feinen Rauchfäden, die schlangengleich im Mondlicht tanzten.
Rorn hätte am liebsten vor Wut aufgeschrien, als er sah, dass die silbern glitzernden Fäden nicht etwa mit dem Wind verwehten, sondern Venea entgegenstrebten. Genauer gesagt, hielten sie auf die polierten Steine in ihren Armbändern zu. Wie duftende Blüten die Bienen anlockten, so zog die Schattenjade die umherschwebenden Kräfte an. Hatte eine der Fadenspitzen ihr Ziel erreicht, wurde der gesamte Strang im Nu aufgesogen.
Vagabundierende Magie – das also hatte die Hexe in den Nebelbruch gelockt.
Mit einem Zipfel von Veneas Mantel wischte sich Rorn den letzten Rest des Blutes aus dem Gesicht, bevor er in die Höhe taumelte. Noch ein wenig wacklig auf den Beinen machte er sich auf den Weg.
Wäre nicht Bao gewesen, der inzwischen den letzten noch verbliebenen Nebelwandler attackierte, hätte Rorn Venea mit Schimpf und Schande überzogen. Es war noch gar nicht lange her, da hatte die Magie des Jadeordens alle umliegenden Reiche ins Unglück gestürzt. Mochte die schöne Hexe auch seine Wunden versorgt haben – dass sie sich Großmeister Ruppels unseliger Zauberpraktiken bediente, widerte den Bannkrieger dennoch an. Zunächst musste er sich aber einem Kampf zuwenden, der zeitweise seinem Blickfeld entschwunden war.
Nachdem Bao die ersten beiden Gegner vernichtet hatte, war er nun tatsächlich dabei, auch den Mörder von Gosk zu bezwingen. Große Teile der Nebelgestalt waren bereits verglüht, doch er zahlte einen hohen Preis für diesen Triumph.
Baos Kleidung bestand nur noch aus blutgetränkten Fetzen. Ihm schwanden die Kräfte. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, und das nicht nur wegen der zahlreichen Wunden. Sein dunkelblondes Haar war ergraut, und blasse, beinahe durchschimmernde Haut spannte sich über die nun scharfkantig hervorstehenden Wangenknochen. Obwohl sein Gesicht keine tiefen Falten aufwies, wirkte es dennoch wie das eines Greises.
Lediglich Grimmschnitters Macht hielt den Hirten aufrecht, gleichzeitig hatte ihm die Klinge das Leben regelrecht
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