Bannstreiter
wenn unsere beiden Völker zusammenstehen, vermögen wir den Zyklopen endgültig die Flügel zu stutzen!« Ein gemeinschaftliches Keuchen aus Tausenden von Kehlen erfüllte die Luft. Die Flügel stutzen war der härteste Ausdruck, den ein Gryff offen aussprechen konnte. Dass Goron ihn sogar noch einmal wiederholte, bevor er weiterredete, zeigte, wie ernst ihm sein Anliegen war.
»Damit uns diese große Aufgabe gelingt, haben uns die Götter mächtige Boten gesandt, die uns in den Kampf führen sollen! Darum begrüßt mit mir – die Greifen!«
»Also gut.« Eonis sah sich zu Kimue und den anderen um. Entschlossenheit spiegelte sich in allen Gesichtern wider. »Dann lasst uns von nun an Boten der Götter sein.«
Ein letztes Mal rückte er den goldenen Schild zurecht, den seine besten Schmiede extra für diese Versammlung angefertigt hatten. Kreisrund in der Form zeigte er zwei ausgeprägte Schwingen, die Schutz vor jedweder Klinge boten. Wer angesichts solch edlen Rüstzeugs nicht sofort erkannte, wer der König der herabschwebenden Greifen war, dem konnte niemand mehr helfen.
Mit majestätischer Eleganz sanken sie durch die vereinzelten Wolken herab und stießen in einem sanften Bogen auf Okdor zu. Der Schwingenschild glänzte in der Sonne, nachdem sie die letzten weißen Schleier hinter sich gelassen hatten. Atemlos sahen die Trutzadler zu ihnen empor, während sie mehrmals über Okdor kreisten, damit sie alle sehen konnten, bevor sie niedergingen.
Die meisten der angereisten Gryff hatten noch nichts von den fliegenden Leu gehört, entsprechend groß war ihre Verblüffung. Für sie musste es wirken, als wären die von so weit oben herabgestiegenen Kreaturen tatsächlich von den Göttern gesandt worden, und in diesem Glauben sollten sie auch vorläufig belassen werden. Für den Fall, dass Fragen aufkamen, gab es immer noch die rührselige Geschichte von den geschenkten Flügeln, an die Goron glaubte.
Ein Teil der Greifen musste auf die oberen Pfadwindungen ausweichen, weil es sonst zu eng auf dem Kultplatz geworden wäre. Nur Kimue und einige Männer der Leibgarde blieben an seiner Seite, als Eonis mit aufgeworfenen Flügeln neben dem Kriegsherrn der Nordermark landete.
Goron hatte von den Schamanen seines Volkes ein Zepter erhalten, das einen Trutzadlerkopf als Knauf besaß und sich nach unten hin zu zwei mit spitzen Krallen besetzten Vogelbeinen aufspaltete. Das passte zu dem Geschenk, das ihm Eonis überreichen wollte. Auf einen Wink von ihm hin legte Kimue den silbernen Schwingenschild ab, den sie bisher selbst am Arm getragen hatte, und drückte ihn Goron in die Hände.
Es handelte sich um ein exaktes Duplikat des goldenen Schildes, den Eonis besaß. Nur das verwendete Edelmetall stellte klar, wer von ihnen in der Hierarchie höher als der andere stand. Trotz der klaren Herabstufung stiegen Goron Tränen der Rührung in die Augen. Für einen Moment verschlug es ihm glatt die Sprache. Noch ehe er sie wiederfinden konnte, erzitterte der Boden unter ihnen.
Der erste Erdstoß fegte Eonis beinahe von den Beinen. Den zweiten federte er bereits mit den Knien ab, während in der Ebene um sie herum die Trutzadler mit den Flügeln zu schlagen begannen.
Einen Fluch murmelnd sah der Monarch zum Himmel hinauf. Wie alle anderen auch erwartete Eonis einen Angriff der Zyklopen, doch vor dem strahlend hellen Blau am Horizont zeichnete sich nicht der geringste Schatten ab. Stattdessen fiel sein Blick auf den östlich von ihnen stehenden Turm, der gerade langsam in sich zusammenstürzte. In einem Augenblick war die gewölbte Kuppel mit dem umlaufenden Wehrgang noch zu sehen, im nächsten fiel sie schon inmitten riesiger Quader in die Tiefe herab.
Der gesamte Vorgang wirkte stark verlangsamt, als stürzten die Steine nicht, sondern würden von unsichtbaren Riesenhänden zu Boden gesenkt. Aber das laute Rumpeln, das über die Bergkuppen hinweg erklang, ließ nur den gleichen Schluss wie das Erdbeben zu: Der Turm brach auseinander.
Eonis wusste beim besten Willen nicht, was er davon halten sollte. Und damit stand er nicht allein.
»Was bedeutet das?«, flüsterte Kimue erschrocken. »Steckt Perac dahinter?«
Der Gedanke lag zwar nahe, ergab aber eigentlich keinen Sinn. Falls der Großmeister neuerdings wirklich die Macht besaß, die Türme zu vernichten, warum hatte er sie dann nicht vorgewarnt?
»Falls das eine Überraschung von ihm ist, soll mich der Kerl kennen lernen«, knurrte Eonis leise zurück.
Goron hatte
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