Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
und duckte sich in den tiefen Schatten der Bäume, den Blick immer auf das Blockhaus gerichtet, in dem er das Gesuchte finden mußte. Nach einer Weile beugte er sich über Murdock. Der hielt eines der Weiber auf seinem Bett im Arm. Beide schienen fest zu schlafen. Damon Routhland tastete behutsam nach dem Lederriemen, schnitt ihn durch und schob den Schlüssel in die Hosentasche.
Mit einem erleichterten Aufatmen schlich Routhland hinaus, wich den aufgestellten Wachposten aus und wandte sich, immer in das schützende Dunkel gebückt, in die Richtung der Insel, auf der man den jungen Lord angekettet hatte.
Preston Seaton hielt sich mühsam aufrecht und starrte mit brennenden Augen in die Finsternis. Langsam sank ihm der Mut, den das Versprechen des Fremden ihm eingeflößt hatte. Ganz gewiß würde der Colonel trotz des gegebenen Wortes nicht zurückkommen. Mit einem Seufzer der Verzweiflung fragte sich der Lord immer wieder, wie lange er wohl noch unter diesen unerträglichen Umständen überleben könnte. Ohne die Hoffnung auf Befreiung würde es keinen Grund geben, sich an dieses menschenunwürdige Dahinvegetieren zu klammern.
Plötzlich erstarrte er. Hatte er da nicht eben etwas gehört?
Vergeblich durchforschte er die Dunkelheit nach einer Bewegung. Eine Hand berührte ihn, er zuckte heftig zusammen und erschrak, als die Ketten rasselten. Auch jetzt konnte er nur einen ungewissen Schatten ausnehmen. Der Amerikaner war so leise gekommen, daß Preston Seaton sprachlos war. Jetzt spürte er mehr, als er es sehen konnte, wie er sich neben ihm niederkauerte und den Schlüssel in das Schloß schob, das die Ketten zusammenhielt. Lord Preston Seaton war frei.
Damon Routhland preßte dem Engländer einen Finger auf die Lippen zum Zeichen, keinen Laut von sich zu geben. Preston Seaton wollte aufstehen, doch die Beine trugen ihn nicht. Er brach zusammen. Nun, da ihm die Befreiung winkte, gehorchte ihm der eigene Körper nicht. Da scholl ein höhnisches Lachen von dem festen Boden herüber. Der Lord hob den Kopf und bemerkte Murdock, der breitbeinig dastand, den Gewehrlauf geradewegs auf das Herz des Gefangenen gerichtet.
„Genau das hatte ich mir vorgestellt“, spottete Murdock. „Ich habe viel von Ihrer Tollkühnheit plaudern hören, Colonel Routhland. Aber bevor Sie Ihren kostbaren Fang mitnehmen können, werde ich das Bürschchen abknallen.“
Damon Routhland handelte blitzschnell. Der Lord war ganz offensichtlich nicht imstande, auch nur eine Bewegung zu machen, um sein Leben zu retten. So warf er sich zwischen Preston Seaton und Murdock. Der Schuß peitschte durch die Stille der Nacht, und Routhland wankte einen kurzen Moment, als die Kugel ihn traf. Trotzdem riß er das Messer aus dem Stiefel und schleuderte es. Murdock stöhnte laut, sank in die Knie und fiel aufs Gesicht. Nur mit Mühe hielt Routhland sich aufrecht. Preston bemühte sich, seinem Retter zu Hilfe zu kommen, doch die Glieder versagten ihm den Dienst. Es war schon eine bittere Ironie des Schicksals. Die Hoffnung zur Flucht war in Greif weite, aber sein Befreier angeschossen und er selbst zu schwach, um aufzustehen oder gar zu gehen.
Warum nur setzte der Amerikaner sein Leben für den Feind aufs Spiel? Sie standen doch auf verschiedenen Seiten in diesem Krieg, oder etwa nicht? Fragen über Fragen und keine Antwort.
„Können Sie mir folgen?“ flüsterte der Colonel und schwankte.
Trotz aller wiederholten Anstrengung vermochte Preston nicht auf die Beine zu kommen und sagte verstört: „Nein, es tut mir leid.“
Mit unerwarteter Kraft beugte sich der Colonel nieder und warf sich den Hilflosen wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter.
„Irgendwie müssen wir aus diesem Sumpfloch heraus.“ Zwar wankte Damon Routhland und sank einige Male in die Knie, sein Atem ging stoßweise und pfeifend, aber er watete weiter durch den Sumpf.
Preston kam sich vor wie eine Puppe und fragte leise: „Wer sind Sie, und warum tun Sie das für mich?“
„Sie fragen zuviel, halten Sie den Mund“, brummte Routhland. Die Last des Körpers auf dem Rücken drohte ihn niederzudrücken, doch er strebte weiter auf eine kleine Moorinsel zu, die er aus frühen Jugendtagen in Erinnerung hatte. Über Baumwurzeln und durch das schlammige Wasser mühte er sich vorwärts, um dieses Ziel zu erreichen, bevor er ganz zusammenbrach. Mit letzter Kraft erklomm er den festen Boden und ließ Preston Seaton fallen. Dann erst stürzte er, erschöpft und zu schwach für jede
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