Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
endlich zu dem Engländer, schöpfte Wasser in der hohlen Hand und hielt es ihm an die aufgesprungenen Lippen. Dabei beugte er sich näher zu ihm und flüsterte dicht an seinem Ohr: „Nur Mut. Wenn es möglich ist, komme ich in der Dunkelheit zurück. Bleiben Sie wach und warten Sie auf mich.“ Damit erhob er sich und versuchte noch einmal, einen Anlauf zu nehmen, den Banditen gütlich umzustimmen. „Welchen Preis verlangen Sie, wenn Sie diesen Mann mir überlassen?“
Murdock grinste. „Hätte ich mir denken sollen. Ein feiner Herr wie Sie glaubt, er könnte alles mit Geld kaufen. Bei mir hilft all Ihr Geld nichts, Colonel Routhland. Mein Prachtstück hier ist für keine noch so hohe Summe zu haben.“
„Ist das Ihi 1 letztes Wort, Murdock?“
„Immerhin habe ich schon erlaubt, daß Sie meinen Gefangenen überhaupt sehen durften. Aber jetzt bin ich am Ende mit meiner Geduld. Raus aus meinem Lager, Colonel, und zwar schnell, wenn Sie nicht Ihrem hübschen Freund hier die Zeit vertreiben wollen!“
„Sie werden diesen Tag noch bereuen, Murdock“, bemerkte Damon Routhland brüsk. „Sollte unsere amerikanische Armee Sie nicht in die Finger bekommen, so gebe ich Ihnen mein Wort, daß die Briten Sie aus Ihrem Sumpfloch herausholen!“
„Das ist kaum anzunehmen“, prahlte Murdock großtuerisch und ging über das Brett zurück. Von drüben warf er einen haßerfüllten Blick auf den Colonel, der ihm auf dem Fuß gefolgt war. „Der Kerl muß erst noch geboren werden, der schlauer ist als Vincent Murdock!“
Damon Routhlands Miene wurde eiskalt, und etwas in dem Ausdruck der goldbraunen Augen ließ den Banditen innehalten.
„Sollten Sie diese unsere Begegnung auch vergessen, Murdock, so seien Sie gewiß: Ich werde wiederkommen und Ihr Gedächtnis auffrischen. Mein Wort darauf!“ Er trat auf den festen Boden und zwang Murdock, ihm aus dem Weg zu weichen. „Bis dahin bereiten Sie sich auf meine Rückkehr gebührend vor“, warnte er gelassen und schritt in die Richtung, in der er sein Pferd gelassen hatte. Als er an dem Wächter vorbeikam, der immer noch die Flinte des Colonel hielt, riß er sie ihm aus der Hand und schob ihn wortlos zur Seite. Keiner der wüsten Kerle rührte auch nur einen Finger, um Damon Routhland daran zu hindern, das Lager zu verlassen. Er erreichte seinen Hengst, schwang sich in den Sattel und ritt davon, ohne sich umzuschauen.
Preston Seaton zerrte an den Ketten. Wer war dieser Fremde, den er noch niemals gesehen hatte und der ihm doch neue Hoffnung und Mut hatte geben können? Natürlich schien es geradezu unbegreiflich, daß ausgerechnet ein hoher amerikanischer Offizier dem mehr als unbedeutenden britischen Edelmann helfen sollte. Und doch war etwas an diesem schwarzhaarigen Mann, das unbedingtes Vertrauen einflößte. Wie hatte der Colonel gesagt? Er würde nach Einbruch der Dunkelheit wiederkommen? Er war davon überzeugt, daß dieser Amerikaner sein gegebenes Wort halten würde.
*
Nach Sonnenuntergang schwirrte das Lager vor Lärm. Aus den umliegenden Sümpfen mischte sich das unaufhörliche Quaken der Frösche mit dem Ruf einer fernen Eule. Vorsichtig ließ sich Damon Routhland in das schlammige Wasser gleiten und watete hinüber gegen das Banditennest, unhörbar, ungesehen. Er hielt die Flinte über den Kopf erhoben, bewegte sich Schritt für Schritt langsam auf den Ring der flackernden Feuer zu und beobachtete jede Bewegung auf dem Platz aus sicherer Entfernung.
Die Marodeure schienen in ausgelassener Stimmung, tranken und grölten ein Lied nach dem anderen. Die halbnackten Weiber schmiegten sich mit eindeutigen Zurufen an die Kerle und lachten schrill bei jeder unflätigen Bemerkung.
Damon wartete. Solange nicht alles dort drüben schlief, konnte er nichts tun. Endlich verzogen sich die Paare in die Hütten. Noch einmal wechselten die Wachen, und er behielt ihre Stellungen im schützenden Dunkel im Kopf.
Der Colonel wußte sich im Vorteil. Niemals würde Murdock annehmen, sein Gegner könnte sich vom Moor her nähern. Die beiden Stunden, die Damon Routhland in dem hüfttiefen Schlamm ausgehalten hatte, mochten zwar zu den unangenehmsten seines Lebens gehören, aber sie sollten sich, so hoffte er, lohnen.
Nachtinsekten schwirrten heran und umsummten ihn. Einmal glitt eine giftige Sumpfschlange an seinem Arm vorüber durch das Wasser. Gegen Mitternacht wurde es still im Lager, und Routhland machte sich vorsichtig auf den Weg, kroch zentimeterweise aus dem Morast
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