Barakuda der Wächter 03 - Die Freihändler von Cadhras
Kilometer südöstlich der Mündung, 200 Kilometer vor dem letzten Austritt des Stroms aus den Bergen. Man würde nach ihr suchen; flußabwärts zu fliehen war sinnlos. Die Gebiete im Norden waren zu dicht besiedelt, die Nachrichtenübermittlung per Signalfeuer und Semaphor gut entwickelt, nicht zu verges sen die Flußclipper der Ordner. Das Treidelgespann würde am folgenden Mittag einen Ort erreichen; dort gab es sowohl einen Semaphor als auch eine Ordnerstation.
Sie mußte flußaufwärts reiten, das Dorf in einem weiten Bogen umgehen und versuchen, bei der nächsten Furt, die etwa eine Tagesreise im Süden lag, den Strom zu überqueren.
In Tontargs Taschen fand sie ein Klappmesser und ein paar Münzen, an seinem Gürtel einen größeren Beutel.
Sie warf sich den Toten über die Schulter und ging flußabwärts. Oberhalb von Lager und Kahn legte sie Tontarg nieder, zog sich aus, ergriff die Leiche wieder und stieg ins Wasser. Sie hielt Tontargs Messer zwischen den Zähnen, ließ sich auf dem Rücken treiben und krallte eine Hand in den Schopf des Toten. Sie passierte den Lastkahn an der Stromseite. Als sie das Heck erreichte, öffnete sie das Messer mit den Zähnen und der freien Hand und zerschnitt Tontargs Kleider.
Unter dem Heck, dank der schweren Ladung noch tiefer unter Wasser als gewöhnlich, hing das Steuerruder in einem kastenartigen, offenen Gerüst. Wieder und wieder tauchte sie. Zunächst klemmte sie den Leichnam unter Wasser zwischen zwei Streben, dann band sie den Toten mit Streifen seiner eigenen Kleidung an die Backbordseite der Konstruktion.
Schließlich schwamm sie erschöpft unterhalb des Kahns an Land und blieb im seichtem Wasser liegen, bis ihre Atmung sich normalisiert hatte. Wenn die Stoffstreifen lang genug hielten, würde man Tontargs Leiche frühestens beim Entladen finden. Wenn sie vorher rissen, würde es vermutlich während der Fahrt geschehen und die Leiche konnte ungesehen stromab treiben.
Endlich hatte sie die Kraft aufzustehen. Sie schaute nach den Sternen und stellte erschrocken fest, daß seit dem Kampf fast zwei Stunden vergangen waren. Wieder kletterte sie über die schlaffen Taue, geräuschlos, und ging zu der Stelle, wo sie ihre Kleider abgelegt hatte.
Leise schlich sie durchs Lager, raffte ihre Sachen zusammen und kroch dann zu den Pferden.
Aus: »Administration & Linguistik«, Bashuro Tsagan,
in: LINGO IX-470, Akademie Atenoa, Gaia
»… daß die einzige Aufgabe der Banyashil-Fürsten die Leitung des Widerstands gegen Pasdan war. Mit dem Sturz des Reichs der Mütter endete auch die Institution der Fürsten.
Eine weitere Nische im anarchischen Kosmos der Shil stellt die Königin von Kelgarla dar. Ihre Aufgabe ist es, die Taggashil vor Übergriffen von Gashiri zu schützen. Sollte Gashiri eines Tages untergehen, wird Kelgarla kein Königreich mehr sein. (Die Verfassung von Kelgarla, mit hierar chischer Ordnung, Gesetzen, Exekutive und stehendem Heer, gilt auf Shilgat als außerordentlich bizarr.)«
Soweit ein Auszug aus der Darstellung der Pasdan-Krise auf Shilgat, entnommen aus dem BULLETIN unserer löblichen Administration. Halten wir uns nicht mit ungelenken oder gar unersprießlichen Formulierungen auf; das ist nun mal so, wo immer Behörden sich äußern, und der hohe Stand der Sprache auf Shilgat fußt vielleicht auch darauf, daß dort keine amtlichen Sprachaborte in Umlauf gejagt werden …
Der zitierte Text betrifft Shilgat und die Shil, nimmt Bezug auf ihre Eigenarten, wäre aber für sie in dieser Form unverständlich – möglicherweise überhaupt nicht übersetz bar. Bevor wir uns mit den Schlüsselwörtern befassen, sollten wir bedenken, daß die Shil nur Faßbares oder Offenkundiges mit Real-Begriffen bezeichnen. Wir haben z. B. keine Bedenken, das Wort »Regierung« zu verwenden – bei uns hat nun mal jede Region, jede Welt, jedes Sonnensystem so etwas. Mit wenigen Ausnahmen gibt es derlei auf Shilgat nicht. Man kennt dort nur etwas, was wir bestenfalls als ad- hoc-Komitees bezeichnen könnten: Zunftausschüsse oder Ältestenversammlungen, die nur dann zusammenkommen, wenn etwas Dringendes anliegt. Die Vorstellung, ein Gebiet müsse strukturierte Organisationen haben, die dauernd mit irgend etwas befaßt sind, ist für die Shil völlig absurd. Derlei Einrichtungen sind nur in Potential- oder Irrealfügungen auszudrücken; ebenso unsere gesamte Staatsphilosophie, die ja nichts Faßbares betrifft, sondern akzeptierte oder strittige Konzepte.
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