Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
entgegenzuwerfen, Flammen und Verneinung, doch es war zu spät. Er war zu schnell. Von oben rieselte bereits Ruß herab. Der Mann mühte sich hinein. Der Kamin war viel zu eng für seine Größe, aber er mühte sich hinein.
Sie wollte mit dem Schürhaken aufwärtsstechen, in den Schacht hinein, den Mann verwunden. Bis er bei ihr ankam, sollte er bereits verblutet sein. Sie schrie vor Wut. Doch es gelang ihr nicht. In einer tosenden Wolke aus ätzendem Staub und rußendem Schutt kam er herabgekracht. Kopfunter, wie ein Salamander. Sie konnte nicht mehr atmen, nichts mehr sehen. Alles verkehrte sich gegen sie. Seine Arme waren unten, wie Beine. Sie wich zurück, ganz instinktiv.
»Die Tür!«, dachte sie. Sie konnte jetzt hinaus, denn er war drinnen, bei ihr, unsichtbar, schwer, viel zu groß.
Sie rannte, fiel über einen Stuhl, hielt sich nicht damit auf. Erreichte die Tür. Die Rußwolke waberte hinter ihr her. Der Riegel. Der Riegel wurde ihr jetzt zum Verhängnis. Sie hatte sich eingesperrt, um ihn auszusperren, aber er war jetzt hier, bei ihr. Sie bekam den Riegel nicht mehr rechtzeitig auf. Dahinter lagen Licht und Luft und Freiheit, das Leben, die Vögel, ihr guter, guter Junge, das Dorf. Hier drinnen war alles unerträglich und endgültig.
Hände legten sich um sie herum auf den bereits gelockerten Riegel und drückten ihn in seine Halterung zurück. Der Mann stand nun hinter ihr, so nahe, dass er sie berührte, so nahe, dass sie ihn riechen konnte.
Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar.
Sie begann am ganzen Leib zu zittern.
Er war so unsagbar schmutzig.
Es war ein neuer Morgen.
Die Vögel sangen vielstimmig ihre Lieder, schienen sich gegenseitig übertreffen zu wollen.
Der Mann schlenderte über den Waldweg, der zwischen den Dörfern hindurchführte. Er war nun nicht mehr nackt, trug eine Art Wickelrock, der vorher einer Frau gehört haben mochte, und zwei Ohrringe, mit denen er spielte, während er ging. Ein Hackmesser steckte im Rockgurt. Er hatte sich im Fluss gewaschen, doch nur nachlässig, noch immer zeigten seine Gliedmaßen Spuren von altem Blut und frischem Ruß und mehr.
Von hinten näherte sich ihm ein Geräusch, das klang, wie wenn man mit den Fingern einzeln und nacheinander auf eine Wirtshaustischplatte klopft, beginnend mit dem kleinen, endend mit dem Zeigefinger und immer wieder von Neuem. Hufgetrappel. Der Mann mit dem Rock wandte sich kaum um.
Der Junge auf dem rötlichen Pferd erkannte die Ohrringe und den Rock schon von Weitem. Er zog seinen Säbel und brüllte: »Du Bestie! Ungeheuer! Dafür wirst du sterben!«
Der Mann mit dem Rock wandte sich kaum um. Ließ den Reiter heranpreschen. Erst dann, im allerletzten Moment, drehte er sich und zerrte den Jungen aus dem Sattel. Ledergurte rissen. Speichel sprühte. Eine Ferse schlug über warmes Leder. Das rötliche Pferd lief ohne den Jungen weiter und blieb dann stehen, irritiert darüber, dass ihm niemand mehr eine Richtung vorgab.
Der Mann mit dem Rock schleuderte den Jungen aus der Bewegung heraus beidhändig herum und schmetterte ihn gegen den Stamm eines Wacholderbaums. Weißliche Beeren stürzten zu Boden und dufteten. Der Junge schrie nicht, dazu bekam er gar keine Luft mehr. Der Säbel entglitt seinen starr werdenden und sich dann erst verkrampfenden Fingern. Der Mann mit dem Rock löste den Jungen von dem Stamm und hieb ihn noch einmal dagegen, noch fester nun. Rippen und Wirbel knackten und brachen. Der Fremde presste das Leben aus dem guten Jungen heraus wie einen Saft. Dabei sah er ihn gar nicht an. Sondern blickte zu Boden, auf den Säbel.
Den hob er hinterher auf und begutachtete ihn. Dann zog er das Hackmesser aus seinem Wickelgurt, rammte es dem Toten achtlos in die Brust und schob stattdessen den Säbel in seine behelfsmäßige Kleidung. Er betrachtete das Pferd.
Es war ein Mädchen.
Langwimprig und scheu schaute es ihn an. Etwas an ihm roch nach einem Menschen, den es kannte und dem es vertraute.
Der Mann ging auf das Pferd zu, einen Arm ausgestreckt, die Finger spielend wie auf der Tischplatte eines Wirtshauses, doch es gab kein Geräusch. Sein Blick war abgewandt, unaufdringlich, seine Haare verhüllten sein Gesicht.
Das Pferd ließ ihn gewähren.
Er tätschelte es, streichelte es ums Maul, schwang sich dann behände hinauf und ritt davon, dem gewundenen Pfad zwischen den Dörfern folgend.
STeHLeN
»Hör zu, mein Junge. Hörst du mir zu? Verstehst du meine Sprache?«
Der fette Kaufmann versuchte,
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