Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Es schien sich um ein Schlafzimmer zu handeln. Ein großes Bett für mehrere Personen und ein doppeltüriger Schrank bildeten die hauptsächliche Einrichtung.
Er ging an den Schrank und öffnete ihn. Männerkleidung. Das war doch schon mal was.
Farben konnte er ohne Licht nicht unterscheiden, aber er wühlte und wühlte, bis er eine Hose gefunden hatte, die ihm vom Stoff her behagte. Er schälte sich aus dem Wickelrock und zog sich stattdessen die leichte, weit geschnittene Hose über. Dann nahm er sich noch einen ledernen Gürtel aus dem Schrank, legte ihn sich an und führte den Säbel hindurch, dem er dem Jungen auf der Fuchsstute abgenommen hatte. Er hatte keine Scheide für diesen Säbel, also musste er ihn offen tragen.
Die Hemden erschienen ihm allesamt zu klein. Der Besitzer des Schrankes war deutlich schmächtiger gebaut als er. Aber er fand noch eine Art Mantelumhang aus Stoff. Den zog er sich über den nackten Oberkörper und krempelte die Ärmel hoch, damit sie ihn nicht behinderten. Es gab auch zwei breitkrempige Hüte, aber die waren ihm wiederum zu groß. Schmächtig, aber mit riesigem Schädel. Ein Gelehrter eben.
Er verließ das Schlafzimmer und ließ den Wickelrock einfach auf dem Boden vor dem Schrank zurück. Hinter der Tür lag ein Flur. Hierhin fiel nicht einmal mehr das Mondlicht durch ein Fenster, die Finsternis war fett wie Rauch. Der Eindringling suchte und fand eine Treppe, die abwärts führte. Er bewegte sich tastend und lautlos, alle anderen Türen ignorierend.
Aus dem Haus kam ein Geräusch. Ein seltsames Geräusch. Eine Art Stöhnen und Wimmern, das beinahe wie ein Gelächter klang.
Der Eindringling hielt im Dunkeln inne. Das Geräusch kehrte nicht wieder. Aber es war von unten gekommen, von dort, wohin er unterwegs war. Langsam zog er den Säbel aus seinem neuen Gurt. Die Waffe in seiner Hand verlieh ihm eine vorgelagerte Kante, die jeder denkbare Feind erst einmal zu überwinden hatte.
Die Treppe führte an der Außenwand entlang und bog zweimal nach rechts ab. Dann erreichte er das erste Stockwerk. Die Dunkelheit fauchte ihn aus dem Flur heraus an. Es war riskant, ein Licht zu machen, das von außen in einem zumindest für heute als verlassen geltenden Haus sichtbar sein konnte, aber es erschien ihm ratsam, nicht weiterhin blind abwärtszugehen. Also begann er dieses erste Stockwerk nach einer Lichtquelle zu durchsuchen. Er öffnete linkerhand die Tür eines Zimmers, das nach Frau roch. Hier ertastete er einen Kerzenständer und ein Schälchen mit Schwefelhölzern. Er riss einhändig ein Hölzchen an und entzündete den Docht. Das goldene Flackern schien den weiblichen Duft zu verstärken, ihn anzuregen. Es handelte sich abermals um ein Schlafzimmer, und das Bett war leer und ordentlich gemacht. Niemand war hier. Und dennoch war die Frau überall wahrnehmbar.
Der Eindringling schaute sich um. Ein Lichtreflex machte ihn auf einen großen Spiegel aufmerksam, in dem er sich selbst sehen konnte. Sein Gesicht spiegelte sich nicht, dafür war er zu groß. Aber er bewegte die Kerze vor dem magischen Glas, und sie bewegte sich mit und malte seine eigenen Narben in umgekehrter Richtung – wie aus einer verrückten fremden Welt, in der die Menschen rückwärts sprechen mochten.
Auch in diesem Raum gab es einen großen Kleiderschrank, und auch diesen öffnete der Eindringling und wühlte darin herum. Viele der Kleidungsstücke waren hauchzart, durchsichtig und dufteten verführerisch. Alle Frauen rochen unterschiedlich, und dennoch konnte man sie immer als Angehörige ihres Geschlechts ausmachen. Da er den Duft mochte, beschloss er, eines dieser Kleidungsstücke mitzunehmen, und entschied sich nach einigem Hin und Her für ein engmaschiges, beinahe überhaupt nichts wiegendes Tuch, das besonders intensiv roch. Er steckte es sich in den Gurt, rechts, da er den Säbel links trug.
Den Schrank ließ er offen stehen. Nahebei war ein niedriger Tisch, vor diesem ein Stuhl. Auf dem Tisch funkelten im Schein der Kerze diverse Glaskaraffen, die überhaupt nicht nach Schnaps aussahen. Der Eindringling strich mit seinen Fingern über die kühlen Facetten, beugte sich dann hinab und schnupperte an den Flaschen. Es waren mindestens fünf verschiedene Gerüche, sehr stark, sehr künstlich, aber in ihrer Gesamtheit flimmerten sie in ihm. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu schnuppern. Wenn er davon kostete, schmeckten sie bitter und ekelhaft, aber ihr Geruch ergab Sinn, ergab den köstlichen Duft
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