Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
aus dem Schrank, nur starrer und kühler und weniger weich. Der Eindringling hatte das Gefühl, einem großen Geheimnis beizuwohnen. Den Einzelteilen, aus denen eine Frau sich für die Welt zusammensetzte. Eine Erfindung. Ein Spiel mit Schein und Verschleierung. Aber wie die Gerüche selbst bekam er auch diese Gedanken nicht zu fassen. Er dachte darüber nach, hier zu verweilen und weiterhin zu schnuppern. Aber man erwartete ihn. Lästige, unwichtige Männer an einem Brunnen. Sie hatten ihm gesagt, dass ihm hier Magie begegnen könne. Sie hatten ihm nur nicht verraten, auf welche Weise.
Er probierte noch das Puder aus einem der Porzellantöpfchen. Auch dieses schmeckte bitter und färbte seine Fingerkuppen weiß. Im Spiegel betrachtete er seine Zungenspitze. Weiß.
Ein wenig von dem Puder nahm er sich auf einen Finger und zog sich diesen von der Nase abwärts über die Lippen bis zum Kinn. Dann einen zweiten, quer über die Stirn. Er betrachtete sich im Spiegel. Der Fremde, der ihn immer aus ruhigen Wassern anschaute, mit neuen weißen Narben. Der Fremde lächelte nie. Das hätte ihn schwach wirken lassen.
Er berührte den Spiegel und hinterließ einen weißen Abdruck. Der Spiegel war kalt wie die Karaffen voller Wohlgeruch. Das Haus war still wie etwas vollkommen in sich Geschlossenes.
Der Eindringling überlegte, wie es sein müsse, in diesem Bett zu schlafen. Er kroch darauf und schnupperte abermals. Das Weib. Noch unverfälschter, leiblicher als im Schrank. Der Geruch erregte ihn, doch es war niemand hier, dem diese Erregung hätte gelten können. Der Eindringling verdrängte sie, schnupperte noch einmal an der schmalsten und zerbrechlichsten der Karaffen und verließ mit der leuchtenden Kerze in der Hand den Raum.
Der Flur wirkte nun ganz anders. Bernsteinfarben. Mit Streifen, die von oben nach unten liefen. Die Wände schienen zu funkeln, das Licht der Kerze zu verstärken. Gemeinsam mit dem Eindringling huschte Glanz über die Wände.
Er fragte sich, was wohl in den anderen Zimmern war. Alles stand ihm offen. Er konnte nehmen, was ihm gefiel. Auch ohne dass es ihm vorher ausdrücklich erlaubt worden war.
Aber das Geräusch war von unten gekommen. Und es war kein Hund gewesen. Er wollte herausfinden, was es war, und nicht wie ein Narr mit beiden Händen in einer Schatztruhe überrumpelt werden.
Den Säbel in der Rechten, die Kerze in der Linken erreichte er wieder die Treppenflucht. Und erstarrte.
Jemand beobachtete ihn. Ein böses altes Gesicht starrte aus einer Art Fenster in der Wand. Und da, am äußersten Schein seiner Kerze, waren noch mehr. Einige sahen wie Frauen aus. Einige sahen gar nicht ihn an, sondern ins Dunkel hinein. Keiner rührte sich. Niemand reagierte auf seine Kerze. Er schwenkte sie ein wenig. Nichts. Es waren Bilder.
Er hatte dergleichen erst ein einziges Mal gesehen, in einem Saal, in dem man über ihn verhandelt hatte. Gemalte Gesichter. Von Toten, um sich zu erinnern.
Es waren sieben an der Zahl. Der böse Alte. Eine schöne junge Frau, die keusch zur Seite schaute. Ein junger wilder Kerl mit roten Haaren. Ein milder Greis. Ein Mädchen, höchstens zehn. Eine Frau mit einer strengen Kopfbedeckung. Ein Knabe mit narbigem Mund. Nur der böse Alte und der junge Rothaarige starrten direkt den Betrachter an. Die anderen wichen dem Augenkontakt aus, den Anschein erweckend, etwas Bedeutenderes im Blick zu haben, und dennoch in Wirklichkeit womöglich voller Furcht. Nur der Knabe mit den Narben nicht. Der hatte etwas ganz Eigenes, etwas, das der Unbefugte als einen Teil seines eigenen Lebens wiedererkannte.
Die sieben flachen Gesichter schmückten die Wände, welche, weiterhin zweimal nach rechts abknickend, ins Erdgeschoss hinabführten.
Er fragte sich, ob die Frauen und Mädchen in Wirklichkeit so schön, die Alten so unverwechselbar, der Rothaarige so entschlossen und der Knabe auch im Leben so grausam war oder ob diese Gemälde etwas behaupteten, das sich nicht halten ließ. Und wenn es Lügen waren, dann wessen? Die des Malers? Die des Auftraggebers des Malers? Die der Abgebildeten? Oder die des Besitzers dieses Hauses, der womöglich selbst der Maler war oder der Auftraggeber oder einer der Abgebildeten, vielleicht der böse Alte, der glosende Rothaarige oder der schreckliche Knabe.
Er spürte ein Verlangen, die Bilder von der Wand zu reißen. Alle. Sie forderten ihn heraus, schienen ihn mit der Unverrückbarkeit ihrer Mienen zu verhöhnen.
Er kämpfte mit sich. Wollte er
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