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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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jetzt solltest du besser nichts mehr trinken. Hör auf Tleck. Zwei Bierchen sind eine gute Sache, um die Gelenke und den Wagemut zu schmieren, aber wir wollen ja nicht, dass du volltrunken in den Hof runterkippst, zu den Hunden, nicht wahr?«
    Der Große hielt Tleck weiterhin seinen leeren Bierkrug entgegen.
    »Klarer Kopf!«, sagte Tleck. »Ein klarer Kopf ist wichtig bei so was!« Er machte, um den Begriff »klarer Kopf« zu verdeutlichen, eine Geste vor seiner Stirn, die eher »verrückt« oder »übergeschnappt« bedeutete. Der graue Blick des Großen brachte ihn ganz durcheinander. Es war der Blick eines Kindes, das ein Spielzeug betrachtet und darüber nachsinnt, was es als Nächstes mit dem Spielzeug zu tun gedenkt.
    Beherzt legte Tleck dem Hünen die Hand aufs Handgelenk und drückte dieses mitsamt dem Krug sanft auf die Tischplatte zurück. »Hinterher, mein Junge. Hinterher kannst du dir von deinem Verdienst ein ganzes Fass kaufen und diese dralle, schöne Magd gleich mit. Was sagst du dazu? Nichts, wie ich vermute. Auch gut. Aber schlägst du in meine Hand ein? Dann gilt die Sache nämlich.«
    Er hielt dem Hünen die Hand hin und begriff im selben Augenblick, dass er zwei Fehler zugleich gemacht hatte. Der Hüne zerquetschte ihm mit trotz des Hühnerfetts eisenhartem Griff beinahe die Finger. Hilfe suchend schaute Tleck Eurese an. Der reichte ihm ungerührt ein Taschentuch. Tleck nahm es dankend an und wischte sich das triefende Fett von der schmerzenden Hand. Tlecks Kopf tat weh, und er fühlte sich, als hätte er seit Monaten nicht mehr geschlafen.
    »Eurese hat ein Seil dabei. Hast du irgendwelche Waffen?«
    Der Hüne zog einen Säbel und hielt ihn hoch. An den Nebentischen verstummten Gespräche.
    »Ja, ist ja gut, steck ihn weg, wir wollen kein Aufsehens erregen, du meine Güte!« Nicht nur Tlecks Oberlippe, auch seine Stirn begann jetzt schweißig zu schimmern. Der Hüne schob den Säbel wieder scheidenlos in seinen Rock. »Es ist immer gut, wenn man eine dabei hat, man kann ja nie wissen. Dass du damit umgehen kannst, sehe ich dir an. Aber ich will nochmal klarstellen: Ich will kein Blutbad veranstalten. Falls irgendein greiser Diener im Hause sein sollte, der bettlägerig ist oder seinen Herrn nicht begleiten konnte aus was weiß ich für Gründen, musst du ihn nicht erschlagen. Zieh ihm eins über und gut. Verstehen wir uns da?«
    Der Große nickte wieder und schaute in seinen leeren Bierkrug. Tleck bestellte ihm ein Wasser.
    »Mir geht es nur um die Büste. Falls du etwas anderes mitgehen lässt, ist das nicht meine Angelegenheit. Ich würde dir nur raten, die Finger von dem Zeug im Ritualraum zu lassen. Man weiß nie, was man sich mit so was einhandelt. Ich mache dir natürlich keine Vorschriften. Ist nur ein gut gemeinter Rat.«
    Der Große nickte und wirkte dabei geistesabwesend, als ermüdete ihn das langwierige Gespräch.
    Als das Wasser gebracht wurde, stürzte der Große dieses heißdurstig hinunter, und Tleck bezahlte die Zeche für alles. Der Große nickte nur wieder, was entweder »Danke schön« oder »Das war ja auch das Mindeste« bedeuten mochte. Tleck fühlte, wie auch seine Achselhöhlen feucht wurden. Die Schwitzerei breitete sich aus wie eine Epidemie.
    Als sie zu dritt die Taverne Richtung Ausgang durchquerten, sorgte der Große für einiges Aufsehen. Er stieß mit dem Kopf gegen ein von der Decke hängendes Kerzenrad, was die umliegenden Tische in schwankende Beleuchtung brachte. Einige drehten sich unwirsch um, aber niemand wagte es, eine Bemerkung anzubringen.
    »Ähh, ist das eine Art … Frauenrock, was du da trägst?«, raunte Tleck ihm zu. »Vielleicht solltest du dich ein wenig praktischer einkleiden für unsere … Unternehmung? Und was ist mit Schuhen? Brauchst du keine Schuhe?«
    Der Große schüttelte den Kopf. Eurese konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Tleck gab es auf. »Jedem das Unheil, das ihm gebührt«, seufzte er nur.
    Die Nacht war schwül.
    Sterne vibrierten.
    Der Mond steckte fest in einem Morast aus Wolken.
    Tleck zückte das Tuch, das Eurese ihm vorhin gegeben hatte, und tupfte sich damit den Schweiß von den Brauen. Ein weiterer Fehler. Nun roch auch seine Stirn nach Huhn.
    Zu dritt durchquerten sie das Spelunkenviertel mit seinem unebenen Kopfsteinpflaster. Überall versickerten stinkende Flüssigkeiten oder troffen zäh in einem Abflussrinnsal zusammen. Katzen machten gesträubte Buckel. Ein Bettler, dessen Haut hinter ihm herschleifte,

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