Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
für ein Blödsinn!«
Er sah den Neuankömmling an, als würde er sich selbst dabei ertappen, zu viel zu reden. Sie gingen weiter, den Passweg hinunter. Der Hauptmann deutete nach hier und da und beschrieb Wegmarken, die den Neuankömmling gar nicht interessierten. Der lauschte vielmehr auf das Knacken in den Bäumen längs des Weges. Er war sich sicher, dass Menschen in den Bäumen hockten, unsichtbar in Finsternis. Der Hauptmann schien das überhaupt nicht zu bemerken. Er kannte keine Wälder. Der Barbar sah ihn vor sich, in einigen Stunden, Tagen oder Wochen: eingefallen und augenlos, von Krähen zerfleischt, unkenntlich gefault. An seinen Hauptmannsflicken allein noch zu erkennen. Er trug ein Schwert, dieser Hauptmann. Ein Schwert, das schöner war als der Säbel des Barbaren. Er beschloss, dieses Schwert im Blick zu behalten.
»Jetzt habe ich eigentlich nur noch eine einzige Hoffnung«, fuhr der Hauptmann fort. »Ich will den Frühling sehen. Den Frühling kenne ich hier noch nicht – als wir ankamen, war schon alles grün und heiß. Aber ob sie blühen, diese Bäume, und wenn ja, in welcher Farbe, das frage ich mich noch. Und wenn sie knospen, nach dem Winter, und ganz frische Blätter entrollen. Das muss Hoffnung machen, meinst du nicht auch? Hoffnung? Kennst du dieses Wort?«
Der Barbar reagierte nicht. Er lauschte.
»Hörst du etwas? Kommt jemand?«
Der Barbar lauschte weiter, schüttelte den Kopf. Ganz, ganz fern hatten zwei sich unterhalten. In der Sprache von Vögeln, die nachts nicht singen.
Sie gingen zurück und wandten den Bäumen den Rücken zu. Der Barbar ließ den Knauf seines Säbels nicht mehr los. Mit Leichtigkeit konnte nun eine Horde von zehn, zwanzig Mann die vier Vorwitzigen überrennen. Und der Burg ihren Gardehauptmann nehmen. Aber die Waldmänner unternahmen nichts. Vielleicht konnten sie sich nicht darüber einigen, was von ihm, dem Neuen, zu halten war.
Vielleicht hielten auch sie ihn für eine Art lebendigen Götzen.
Der Tag war ähnlich finster wie die Nacht. Der Himmel eine schiefergraue Ballung, eine Faust, aus der unablässig seichter Schweiß troff.
Die Männer kratzten sich die Feuchtigkeit in die Haut und besserten ihre schäbigen Uniformen aus, indem sie Flicken über Flicken häuften.
Blernn erzählte dem Barbaren von zu Hause. Warum er ausgerissen war. Es lieber mit Söldnern aushielt als bei seinem eigenen Vater. Den Barbaren interessierten diese Geschichten nicht. Er hatte seine Eltern nie gekannt. Das gesamte Konzept einer Familie war ihm unvertraut und reizlos.
Trezoi schüttete lachend Suppe über die nackten Füße des Barbaren und ging danach sofort in Kampfstellung, die Hand am Säbel. »Na los, komm doch, trau dich doch, oder traust du dich nicht gegen einen, der nicht kleiner ist als du?« Dabei war Trezoi kleiner als er. Nur weil er Schuhe trug, wirkte er ebenso groß.
Der Barbar blinzelte nicht einmal über diese Provokation. Seine Füße waren wenig schmerzempfindlich, schon in seiner Kindheit hatte er auf Felsgrund barfuß zu rennen gelernt. Nur einen der Kompaniehunde trat er weg, als dieser herangehechelt kam, um die Suppe von seinen Knöcheln zu lecken.
Der Hauptmann bemannte die Mauerzinnen mit Ausschauhaltern. Schließlich kam auch der Neue an die Reihe. Der Hauptmann wirkte zaghaft, als er ihn auf die Zinnen bat, unsicher, ob der Neue sich überhaupt der Hierarchie fügen würde. Aber er fügte sich.
Von dort oben sahen die Wälder noch unendlicher aus. Bis zum Horizont waberte das Grün im weichen Regen. Den Großteil seiner Wache verbrachte er jedoch mit dem Rücken zum Wald, die Gebäude der Burg betrachtend. Die Fenster. Einmal vermeinte er dort oben die Silhouette einer Frau wahrzunehmen, die jedoch sofort zurückschrak, als sie sich beobachtet sah. Einmal perlten die Klänge einer Laute oder eines liegenden Saiteninstrumentes herab, aber der Wind riss diese Perlen fort und schleuderte sie sinnlos über die Wälder hin.
Nichts geschah. Die Waldmenschen griffen nicht an. Der heilige Burgfürst ließ sich nicht blicken.
Wenn es niemandem gelungen war, ein Wildschwein zu erlegen, sah das Essen aus wie Erbrochenes und schmeckte süßlich. Zu trinken gab es Regenwasser, das sich unablässig in einer Zisterne verfing.
Trezoi und andere warfen begehrliche Blicke auf den Ohrring des Barbaren. Dann sangen sie wieder. Sie sangen, wenn ihnen langweilig war, und ihnen war beinahe andauernd langweilig. Und ihr Gesang klang hässlich.
Der
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