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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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aber dennoch langsam sich nähernd.
    Als er die Stadt von außen erblickte, kam sie ihm hässlich vor. Unnatürlich. Ein Zeugnis des menschlichen Übereifers. Gebäude türmten sich auf, so hoch, als stiege man in einen Berg.
    Auf den Straßen war ein Wimmeln und Schubsen und Drängeln, das ihm nicht im Mindesten behagte. Er mochte die Freiheit, nicht den sauren Schweiß von Fremden. Er versuchte Distanz zu halten, aber das war nicht möglich. Die Wände der Gebäude warfen alles Umgebende auf ihn zurück. Er fühlte sich, als bekäme er keine Luft mehr. Seine Gesichtshaut wurde fahler.
    Er kam durch ein Viertel, in dem menschliche Ausscheidungen in trägen Brocken durch Rinnsteine trieben, und es stank wie nirgendwo sonst, wo er jemals gewesen war. Eine junge Frau brachte breitbeinig stehend auf offener Straße ein Kind zur Welt, und im Hintergrund schlachtete jemand einen Hund. Die Gesichter der Menschen zeugten von Lust und von Mord, und ihre Körper waren ausgezehrt von vielfältigen Süchten. Über Unrathalden kreisten verwahrlost aussehende Seemöwen, obwohl das Meer Tage, ja, Wochen entfernt sein musste.
    In einem anderen Viertel wiederum wirkten alle Menschen aufgeschwemmt. Sie trugen dicke Ringe an den Fingern, und selbst die Männer hatten geschminkte Lippen. Die Kleidung der Frauen verlieh ihnen allen etwas Hurenhaftes. An Fenstern und Türen klingelten Silberglöckchen. Ein beständiges Bimmeln begleitete jeden seiner Schritte, bis er sich selbst nicht mehr hören konnte.
    Jemand stieß gegen ihn. Groß, polternd und grob. »Aus dem Weg, Tölpel!«, schnauzte der Fremde. Der Barbar griff ihm ins Gesicht und drückte ihn nach hinten gegen eine Wand, bis dem Rüpel die Augen hervortraten und der Hinterkopf einbrach. Für einige Momente wenigstens verebbte das Bimmeln. Leblos rutschte der Rüpel an der Wand hinab.
    »Bei den Göttern, er hat ihn umgebracht! Einfach so!«
    »Posten! Hilfe! Überfall!«
    »Greif ihn dir und komm!«
    Jemand fasste nach ihm. Es war die weiche, kühle Hand eines Kindes. Er war verwirrt. Es bimmelte wieder und roch in diesem Teil der Stadt nach geschnittenem Gras und Marzipan. Ein Kind? Ein Junge, der wiederum einer anderen Gestalt folgte, die vermummt war, aber offensichtlich eine nicht mehr junge Frau. Der Barbar ließ sich ziehen, durch die drängelnde Menge, die zurückwich, seinetwegen, der verübten Gewalt wegen, aber auch aufgrund des Kindes. Alles wirkte zusammen, zerstreute die Blicke von ihm weg. Von irgendwo stießen sich Uniformierte in Richtung des Leichnams durch, aber die nicht mehr junge Frau, der Knabe und der Totschläger tauchten in einen Hauseingang, passierten einen schiefen Flur, hinten wieder hinaus, durch eine von Hühnern wimmelnde Gasse in ein anderes Haus, durch einen Korridor, wieder hinaus durch eine Netztür, auf eine belebte Straße, wichen weiteren Uniformierten aus, obwohl diese noch von nichts wussten, durchmaßen ein Labyrinth von Gässchen, die so eng waren, dass die Regenrinnen der Häuser sich in Höhe der Dächer berührten. Die nicht mehr junge Frau führte; sie schien mit jedem Schritt zu wissen, wohin sie wollte. Der Knabe folgte ihr – dabei konzentriert auf ihre mit erstaunlich hohen Absätzen versehenen Schuhe achtend, um auch keinen ihrer Schritte falsch auszulegen – und zerrte den Barbaren hinter sich her, der längst nicht mehr wusste, wo er sich befand, und sich der zielstrebigen Führung anvertraute. Es ging vorbei an einer Ladenzeile, in der Waffen aus Schokolade feilgeboten wurden, und vorbei an weiß maskierten Menschen, die eine Bahre mit dem goldlackierten Skelett eines Kranichvogels umstanden. Vorbei an einem Verkäufer, der Lederschirme balancierte, und vorbei an einem Geschäft, in dem man die Kleidung von kürzlich darin Verstorbenen erwerben konnte. Hinein in einen Hintereingang, durch einen weiteren dunklen Korridor, in einen Raum mit zwei Türen. »Bleib hier und warte«, zischte die Frau dem Barbaren zu, dann waren sie und das Kind hinaus, und beide Türen wurden von außen abgeschlossen.
    Man hatte ihn hereingelegt. Das Kind benutzt, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Er begann augenblicklich zu wüten und gegen eine der beiden Türen zu springen, dass sie ächzte und sich bog.
    Die andere Tür öffnete sich wieder. Die nicht mehr junge Frau. Diesmal allein. »Bei den Göttern, beruhige dich! Du bist nicht gefangen! Ich bat dich nur zu warten. Wir schlossen ab, damit keiner dich finden kann. Wenn dich das aufregt,

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