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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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traurig oder verbittert darüber, dass es sie jetzt nicht mehr gab. Mehr noch: Er konnte sich nun das Beste aus ihrer Ausrüstung zusammenklauben, denn der Barbar hatte für Ballast keine Verwendung.
    Er fühlte sich erschöpft. Der Rauch. Vielleicht auch die Kräuter im Rauch. Womöglich wirkten sie ein wenig einschläfernd. Ihm fiel auf, dass er die roten Beeren des Dorfältesten ganz vergessen hatte. Sie waren draußen auf der Brücke, in einer Tasche des Stadtmagiermantels.
    Er ließ die Axt einfach fallen und machte sich heißhungrig über den Braten her. Dabei beäugte er den Alten nur noch ab und zu. Dieser lächelte weiterhin, dann gab er sich einen Ruck und zog sich nach hinten zu seiner Schlafstelle zurück. Seinen rostig wirkenden Degen gürtete er ab, und zwar so, dass der Barbar es gut sehen konnte, legte das Gehenk neben sich und rollte sich zum Schlafen auf der Seite zusammen. Zum Schlafen oder zum Getötetwerden ohne Gegenwehr.
    Der Barbar aß lange. Die Portionen dreier Räuber stopfte er in sich hinein. Dann rülpste er ausgiebig und schüttete federweißen Wein hinterdrein, um die Mahlzeit abzurunden. Der Alte mochte inzwischen eingeschlafen sein, jedenfalls atmete er regelmäßig.
    Er verließ die Höhle, ohne die Axt des toten Gottes noch einmal anzurühren. Auch den Helm ließ er dort. Er brauchte solchen Tand nicht, der behinderte mehr, als dass er von Nutzen war.
    Auf dem Weg nach draußen wickelte er sich die Armbänder auf und ließ sie einfach liegen, wo er ging. Den schweren Umhang ebenfalls. Die Lederbänder. Den Gurt mit der schädelartigen Schnalle. So nahm er den Gott Stück für Stück auseinander, bis nur noch ein blutiger Mensch übrig war.
    Auf der Brücke blieb er stehen. Er fühlte sich schwer und satt. Sollte er sich wirklich jetzt noch an den Abstieg machen? Er schaute auf das Dorf hinunter, ein Mensch, kein Gott. Die anderen Menschen dort unten schienen zu tanzen. Sie hatten sich untergehakt und drehten sich umeinander. Alles drehte sich umeinander.
    Er musste an das Mädchen mit den verdrehten Augen denken.
    Er klaubte seine Kleidung aus der Spalte zwischen den verkanteten Steinen. Die roten Beeren, die ihn schneller machten als alles andere. Er schluckte sie, alle, und spülte mit Federweißem nach, den er sich in seinen Wasserschlauch gefüllt hatte. Mitten auf der Brücke legte er sich schlafen. Der Wind rüttelte an ihm, aber es fühlte sich an, als würde er fliegen.
    Während er schlief, begann es erst zu dunkeln.
    Während er schlief, ging der Alte aus der Höhle an ihm vorüber und legte etwas neben ihm ab. Dann verschwand der Alte, indem er den aufsteigenden Weg nahm, den der Barbar zur Brücke hinabgekommen war, und es sah aus, als würde er in den Mond hineinsteigen und verschwinden.
    Wilde Träume suchten ihn heim. In diesen Träumen war er der Schnellste von allen. Er rannte lachend als Jugendlicher gegen seine Freunde und Rivalen. Er gewann. Die hübschesten Mädchen jubelten ihm zu. Er fühlte sich wie ein Gott.
    Dann war er auf einem Schlachtfeld. Zehntausende von Menschen ermordeten sich gegenseitig, aber er war der Mittelpunkt, alles drehte sich wie in einer Spirale, oder wie in flammenden Wellenmustern, die sich von ihm aus erstreckten. Die Menschen wandelten sich zu augenlosen, grün schillernden Teufeln, deren Köpfe nur noch aus schnappenden Mäulern bestanden.
    Er wälzte sich auf der Brücke und stöhnte. Die Teufel bedrängten ihn. Einmal ragte sein Arm über den Abgrund wie die segnende Hand eines Regenten. Ein andermal lag er da, in sich zusammengekrümmt wie im Schoß seiner Mutter, und zitterte.
    Die Beeren kullerten in ihm, zerplatzten, wurden zertreten von tanzenden Frauenfüßen zu Wein. Das ganze Dorf feierte. Musik waberte zu ihm hinauf und stellte etwas an mit seinem Herzschlag, seiner Atmung. Das Mädchen mit den verdrehten Augen tanzte mit ebenfalls verdrehten Armen und schaute wild hinauf zu ihm, sehnsüchtig. Flammen loderten, als würden die Häuser brennen.
    Der Wind rezitierte Gedichte, die sich nicht reimten. Und am Ende dann doch.
    Es war kalt, und er hüllte sich tiefer in seinen Mantel. Die Rüstung des Gottes bildete im Wind Stimmen aus und jammerte.
    Die Musik mündete in Missklänge. Betrunken und schwanger sanken die Menschen übereinander. Über ihnen bildete sich eine Brücke aus schwarzem Basalt.
    Die Beeren.
    Die Beeren tropften von einem Buschbaum gleich rotem Hagel.
    Als er erwachte, stürzte er beinahe in die Tiefe, so

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