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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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lassen wir die Türen unverschlossen, in Ordnung?«
    Der Barbar reagierte nicht. Sein Brustkorb hob und senkte sich, und er starrte die Frau unter seinen vorm Gesicht hängenden Haaren hervor an.
    »Kannst du mich überhaupt verstehen?« Immer wieder fragten sie ihn das, nur weil er nicht antwortete. Als ob das eine etwas mit dem anderen zu tun hätte. Er nickte.
    »Gut. Ich muss mich um Dringliches kümmern. Warte hier auf mich, du bist vorerst in Sicherheit. Ich will dir ein Angebot unterbreiten, das für dich interessant sein dürfte.« Sie ging wieder hinaus. Die Tür blieb diesmal unverschlossen.
    Er schaute sich um, konnte nichts Bedrohliches erkennen, setzte sich auf den Boden. Es gab nichts in dem Raum, ein paar leere Regale und klobige Sitzbänke. An der Wand ein Geschirr wie zum Einspannen eines Zugochsen. Es roch nach schimmligem Käse. Er hielt das Sitzen nicht lange aus, stand auf, ging unruhig umher. Irgendwo über ihm trappelten Schritte. Eine Frau lachte. Nicht die ältere, die ihn hierhergelockt hatte, eine jüngere. Ihr Lachen klang gewollt.
    Er ärgerte sich darüber, dass er in dieser Stadt so rasch die Orientierung verlor. Überall gab es Mauern, neue Winkel und Wege. Häuser ähnelten einander mehr, als Bäume im Wald sich ähnelten. Überall roch es anders, auch an ein und derselben Stelle roch es anders, wenn man zweimal an ihr vorüberkam. Mühelos konnte er sich in einer Burg oder einem Schloss oder einem Kerkertrakt zurechtfinden. Aber diese Stadt war, als hätte man hundert Burgen ineinandergesteckt, in Drehung versetzt, dreimal draufgehauen und dann geschaut, was dabei herausgekommen ist.
    Endlich ging die Tür wieder auf. Es war die nicht mehr junge Frau und ein Diener. Der Diener hatte denselben unsichtbaren Gesichtsausdruck sämtlicher Diener, dieselbe unterwürfige Haltung. Die Frau war jetzt anders gekleidet und ließ ihr Gesicht sehen, aber er erkannte sie nicht am Gesicht, sondern an der Art, wie sie ihre Arme bewegte. Seltsam geziert, als ob ihr beständig Spinnweben im Weg hingen. Der Diener stellte vor ihm ein Tablett ab. Es roch köstlich.
    »Bedien dich. Ach so, du wirst wahrscheinlich argwöhnisch sein. Hier, sieh: Ich probiere von dem Braten, ich probiere von dem Nektar. Beides ist nicht nur nicht vergiftet, sondern sogar ausgesprochen bekömmlich.« Sie lächelte und setzte sich auf einen gepolsterten Schemel, den der Diener ihr hinstellte. Danach winkte sie den Diener hinaus. Sie war mutig, mit einem kaum bekleideten Barbaren allein sein zu wollen.
    »Ich habe mich noch nicht vorgestellt«, sagte sie. »Mein Name ist Ionie. Ich bin die Besitzerin dieses einzigartigen Hauses.«
    Er forschte in ihrem Gesicht. Sie musste sehr schön gewesen sein vor zehn, zwanzig Jahren. Einiges davon war noch erhalten geblieben. Aber der eigentümlich matte Glanz ihrer Augen verriet, dass sie zu viel trank und zu viel Rauschmittel zu sich nahm, sodass sie andererseits vielleicht noch gar nicht so alt war, wie sie auf ihn wirkte.
    »Willst du mir deinen Namen nicht nennen?«
    Er schüttelte den Kopf, dann machte er sich über die Speisen her. Der Nektar war zu süß, der Braten zu scharf gewürzt, aber das machte nichts, er hatte Hunger und Durst.
    Sie betrachtete ihn, als wäre sie stolz auf ihre neue Bekanntschaft. »Du bist außergewöhnlich«, sagte sie dann auch. »Du hast diesen Mann getötet, ohne weiter darüber nachzudenken. Du hast wahrscheinlich schon viele Menschen getötet. Du bist ungewöhnlich stark, aber auch schnell und geschmeidig. Jemanden wie dich könnte ich sehr gut brauchen. Jemanden, der in der Lage ist, einfach nur durch schweigsame Präsenz einzuschüchtern. Du müsstest gar nicht viel tun. Nur ab und zu einen Randalierer oder einen Frechling auf die Straße werfen. Ohne ihn zu töten. Würdest du das hinbekommen?«
    Er starrte sie lange an.
    Seufzend sprach sie weiter. »Und du müsstest mir natürlich versprechen, mir und den Mädchen nichts zu tun. Kannst du das versprechen? Kannst du deine Kraft auch im Zaum halten, oder tötest du jeden Tag, wohin immer du dich wendest?«
    Wieder schwieg er, kaute und schluckte nur. Seine weißen Zähne zerrissen das Fleisch, als wäre es die Beute eines Raubtieres.
    »Nein, ich glaube nicht, dass du für jedermann eine Gefahr darstellst. Du tatest dem Kind nichts, du tust mir nichts. Wir können Freunde werden. Ich biete dir ein Zeugnis an für den Fall, dass man wegen der Sache vorhin nach dir sucht. Weißt du, was ein Zeugnis

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