Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
dicht lag er an der Kante. Der Wind fasste in seine Haare mit kühlen, feuchten Fingern. Das Blut von Fremden juckte auf seiner Haut. Verblüfft erkannte er, was der Alte ihm hingelegt hatte: einen Kriegshammer, den einer der Räuber wohl als Waffe geführt hatte. Der Barbar erinnerte sich, einige solche Ausrüstungsteile an der Wand lehnen gesehen zu haben, als er die Höhle mit den schmausenden Gottesmännern betrat. Der Hammer war langstielig, schwer und klobig. Aber vor allem war er stabil.
Der Barbar machte sich ans Werk.
Er überquerte die Brücke auf die Seite, von der aus er leicht ins Dorf hinunterkam, dann hob er den Hammer und ließ ihn auf das Brückengestein niedersausen. Zehnmal musste er das machen, dann hatte er den Schwachpunktstein entdeckt. Auf diesen konzentrierte er sich nun.
Weit hallten seine Schläge über das Tal.
Regelmäßig. Wie das Läuten von etwas Geheiligtem.
Einige hielten inne in ihrer mühevollen Arbeit und betrachteten besorgt ihre Hände.
Dann barst die Brücke. Wölbte sich erst nur einwärts, kam dann herab, regnete, schlug auf, löste, riss mit sich. Auch den Leichnam des toten Gottes. Der tote Gott schlitterte in einer Lawine zu Tal, die sich stetig erweiterte, wuchs. Steine sprangen übereinander wie Fische. Feuerten sich gegenseitig an. Schwerer. Scharfkantiger. Schneller. Fels, nicht Schnee. Ein ganzer Abhang geriet ins Rutschen. Eine Felswand brach donnernd ab und kippte nach vorne. Die Menschen schrien. Schrill, als wären sie alle noch sehr, sehr jung. Die Felsen rauschten über das Dorf hinweg und führten mit sich Lärm und Staub. Der Staub verhüllte das ganze Tal noch lange wie ein gefangen sich gebärdendes Riesenwesen, während der Barbar hinabkletterte, über neues, frisches, von Wind, Wetter und Sonnenlicht noch ungegerbtes Massiv nun.
Unten suchte er noch eine Zeit lang das Mädchen, aber es war nichts mehr zu finden außer Trümmern und den schwarzen Fetzen weißer Wäsche.
In einem Traum, zwei Jahre später, fand er sie unter dem Gestein. Ihre Augen waren geschlossen, sie war schon lange tot. Mit beinahe bebenden Fingern öffnete er ihre Lider. Die Augen darunter waren noch immer verdreht, und mit einem Gefühl wie Enttäuschung erwachte er.
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Bislang hatte er die Hochstadt gemieden, aber zu viele Menschen hatten ihm mit leuchtenden Augen davon erzählt.
Es war wie eine Krankheit. Er wirkte nicht wie jemand, der andere darum bat, ihm etwas zu berichten, und dennoch taumelten sie auf ihn zu und schwärmten ihm vor von der Stadt .
Dass es dort alles gab, was eines Menschen Herz begehren konnte. Jede erdenkliche Form von Vergnügungen. Glücksspiel. Mädchen. Chancen, es zu etwas zu bringen. Sehenswürdigkeiten. Kolossale Prachtbauten. Springbrunnen. Künstliche Wasserfälle in Parks. Erlesene Köstlichkeiten zum Essen und Trinken.
»Und die farbenprächtigsten Menschen zieht es dort hin! Wenn du dort bist, ist es, als wärst du überall zugleich! Du brauchst dich nur umzuschauen und kannst die Kinder aller Länder zugleich erblicken!«
»Und Tiere, wie du sie in den Wäldern noch niemals sahst! Sie werden an Leinen spazieren geführt oder gehen zahm und aufrecht zwischen den Menschen einher!«
»Und Gerüche gibt es dort, von seltenen und seltsamen Gewürzen! Einige davon, sagte man mir, sind Gifte, wenn man sie falsch dosiert! Wenn man sie aber in richtigem Maße dem Essen beimischt, steigern sie die Liebesfähigkeit oder die Wahrnehmung von Farben!«
»Und in der Nacht funkelt die Stadt wie ein Spiegelbild des Himmels!«
»Und an bestimmten Tagen erklingt Musik an allen Ecken, und die Menschen haken sich unter und tanzen, auch wenn sie sich bis eben gar nicht kannten!«
»Und du musst nicht einmal zu Fuß durch diese Wunder wandern! Es gibt Menschen, die großrädrige Karren hinter sich herziehen, in die du dich setzen kannst, und es gibt Maultiere, die ziehen sogar Wagen für mehrere Personen, die an bestimmten Stellen immer haltmachen!«
»Und wenn du ein Dieb bist, wird es dir ein Leichtes sein, jemandem sein Geld abzunehmen!«
»Und wenn du kein Dieb bist, wird es dir ebenfalls ein Leichtes sein, jemandem sein Geld abzunehmen!«
»Und du bist jung und kräftig und groß gebaut und auf deine eigene Art sogar ausgesprochen schön – sie werden dich bestaunen, und du wirst dein Glück machen in der Stadt, das kann gar nicht anders sein! Das kann gar nicht anders sein!«
Und so war er denn hingegangen, auf Umwegen zwar,
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