Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
den Kopf.
»Keine Schuhe? Bist du sicher?«
Er nickte.
Sie seufzte wieder. Ihre Bewegungen waren besonders beschwingt. Sie hatte getrunken. »Dann werde ich aber dafür Sorge tragen, dass dir deine Füße mehrmals täglich gewaschen und mit Duftölen gesalbt werden. Wir wollen ja niemandem den Appetit verderben, nicht wahr? Jetzt komm.«
Und sie führte ihn wieder. Diesmal hinab, durch Perlenschnüre und schwere Vorhänge. Der Geruch wurde so künstlich und intensiv, dass er beinahe husten musste.
Es gab zwölf Mädchen. Alle hatten unterschiedliche Hautfarben. Von beinahe durchscheinendem Weiß bis hin zu samtig glänzendem Schwarz. Sie waren tatsächlich alle sehr schön, aber in ihrer Vielfalt überforderten sie ihn. Ionie nannte ihm zwölf Namen und erzählte ihm zwölf kurze Geschichten. Alles kicherte, aber er konnte sich nichts davon merken. Er sah Augenpaare mit künstlich verlängerten Wimpern, wie glasiert glänzende Lippen, ausgestellte Brustwarzen und sogar – bei einigen, die saßen – jenes sanft durchschimmernde Rosa zwischen den Schenkeln, das ungeachtet sämtlicher Hautfarben immer ähnlich war. Außer auf dem Kopf wies keines der Mädchen irgendeine Behaarung auf. Was sie seltsam alterslos machte, zwischen Kindheit und Fraulichkeit schwebend. Wenn sie sich bewegten und gingen, und auch in der Art, wie ihre Augen ummalt waren, erinnerten sie ihn an Giraffen. Sie rochen alle unterschiedlich, aber dennoch ähnlich, nach Ambra, als gehörten sie zu ein und demselben Stamm.
Sie tuschelten miteinander über ihn und betrachteten ihn mit Wohlgefallen. Er aber konnte ihre Gesichter kaum voneinander unterscheiden. So unterschiedlich sie auch sein mochten, so entsprachen sie doch alle dem Schönheitsideal der Städter. Ihre Brüste mochten verschiedene Formen haben, ihre Hüften und ihr Hintern – ihre Gesichter jedoch wiesen alle dieselbe großäugige Bereitschaft auf. Sein Interesse an ihnen war gering.
Ionie erklärte ihm seinen Arbeitsbereich. Er sollte sich in erster Linie im Eingangsbereich aufhalten, wo es einen Getränketresen gab, einen leise plätschernden Zimmerbrunnen, einige Ziervögel aus bemaltem Gips, Farne, die in entwurzelter Erde steckten, seltene Orchideen, die alle irgendwie fleischlich aussahen, Gemälde, die obszöne Gelage zeigten und auf denen man immer wieder neue Details entdecken konnte. »Manche der Gäste wirken widerwärtig«, schärfte Ionie ihm ein, »aber es ist wichtig, dass du dich nicht an ihnen vergreifst. Schüchtere sie ruhig ein mit deiner Präsenz, das ist schon in Ordnung. Aber berühre sie nie. Berühre nur die, die ich dir anweise. Wirst du das so tun?«
Er nickte, während seine Finger die Innenseite eines Orchideenkelchs befühlten.
»Ansonsten werde ich dich nicht zu niederen Arbeiten heranziehen. Dafür habe ich andere Helfer. Du bist etwas Besonderes. Am Ende deines ersten Monats endet deine Probezeit. Du wirst dir dann noch kein Mädchen aussuchen können, sondern mit mir schlafen. Bist du damit einverstanden?«
Er nickte, ohne sie anzusehen. Sie gefiel ihm tatsächlich besser als die jüngeren Mädchen. Immerhin konnte er sich ihr Gesicht leichter merken.
Sie seufzte, aber es klang erleichtert. Schließlich berührte sie ihn wieder an der Schulter. Sie spürte dort eine alte Narbe. Diesmal zuckte er nicht zusammen. »Weißt du«, gurrte sie, »was wir alle an dir schätzen werden?«
Er schüttelte den Kopf.
»Dass du keine dummen Komplimente machst.« Sie kicherte kindlich.
Und so begann seine Tätigkeit im Haus der Freuden.
Es kam ihm vor wie ein mit Blumen ausgekleideter Kerker. Immer, wenn er es nicht mehr aushalten wollte und im Begriff war, zur Tür zu stürmen, berührte ihn sanft ein Mädchen und flüsterte ihn zurück.
In den Nächten lag er neben seinem Bett, zusammengekrümmt. Er bekam Rückenschmerzen, wenn er versuchte, so weich zu schlafen, wie dieses Bett es ihm ermöglichte. Er fragte sich, ob er verzaubert sei. Er wollte Wüten und Laut geben, seine Existenz bestätigen, aber das schien hier nicht mehr nötig zu sein. Alle kannten und mochten ihn. Da er keinen Namen nannte, bezeichneten sie ihn als Om , was in der Sprache der Stadt so viel bedeutete wie: Mann, der nicht zu bezahlen brauchte.
An manchen Tagen erschien unten eine langbeinige Musikerin, die unbekleidet Harfe spielte und dazu sang. Sie gehörte nicht zu den Mädchen, die man haben konnte. Der Barbar verspürte mehr Lust darauf, diese eine mit Gewalt zu nehmen
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