Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
von der Klinge lostrat. Dieses unhandliche Gerät verursachte Erschreckendes, war jedoch in seiner Behäbigkeit ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Er schaffte es gerade noch, einem der drei auf ihn Eindringenden die Axt von der Seite her tief in den Leib zu treiben, dann musste er schon einen Satz nach hinten machen, um nicht den kleineren Handbeilen der Angreifer zum Opfer zu fallen. Im Springen zog er sein Schwert und nahm damit den ersten Angreifer auf wie eine Kastanie, die man zum Rösten auf einen Spieß steckt. Der Mann brüllte ihm Unverständliches ins Gesicht, das Geschrei brach sich vielfach in der rauchigen Höhle, und der Barbar konnte sich nicht erinnern, jemals einen Sterbenden so laut schreien gehört zu haben. Er bekam ihn nicht vom Schwert herunter, so drang schon der Vorletzte auf ihn ein.
Diesmal rettete ihn der Helm des Gottes. An den kompliziert gedrechselten Hörnern verfing sich der Hieb des Gottesmannes, und dem Barbar gelang es sogar, diesen mit einem der Hörner in einem Kopfvorstoß zu ritzen. Gleichzeitig schüttelte er den immer noch ohrenbetäubend Krakeelenden ab und setzte dem in seinen Bewegungsabläufen aus dem Rhythmus gekommenen Angreifer hinterher. Nach zwei wuchtigen Streichen lag dieser verschnitten am Boden. Der Älteste aß weiterhin, und der Schreiende gellte noch immer, dass es kaum auszuhalten war. Vielleicht hatte er ihm irgendeine Körperstelle durchbohrt, die ihn zum unaufhörlichen Brüllen zwang. Als wäre der Mensch ein Gefäß, aus dem alles hinausmuss. Er hielt es für angebrachter, die kupferblutige Axt zu benutzen, um Ruhe zu schaffen. Das tat er dann auch.
Er riss sich den Helm vom Kopf und schnappte den würzigen Rauch. Obwohl der Helm ihm das Leben gerettet hatte, hatte er darunter kaum atmen und sehen können.
Der Alte blickte ihm von unten herauf entgegen. Sein Gesicht war von lebenslanger Zügellosigkeit zerfurcht. Aber er lächelte. Ein dünnlippiges Lächeln, das keine Illusionen kannte.
Der Alte legte seine nur halb abgenagte Bratenkeule beiseite und sagte etwas mit klarer, sogar schneidender Stimme, in einer Sprache, die dem Barbaren sehr vertraut war. Er sagte:
»Geh hinunter
Zu den Menschen
Und sprich nicht mit ihnen
Und sag ihnen so
Dass ihre Vorfreude über das Unglück der anderen
Verfrüht ist
Dass die Jugend gebeugt werden will
Und das Alter kindisch wird statt weise
Dass ihre Nachkommen, zart und rosa noch im Augenblick
Vergewaltigen werden, wenn sie erwachsen
Oder vergewaltigt werden, noch bevor sie verstehen
Geh hinunter
Und sprich nicht mit ihnen
Und sag ihnen so
Dass jeder Sommer nur ein flüchtiges Brennen ist
Im ewigwährenden Festkrallen des Winters in den Bergen
Dass kein Vogel sich endlos im Flug halten darf
Und kein Fisch schwimmen kann, ohne zu ertrinken
Dass keine Blume unverwelkt durchs Jahr kann leuchten
Und jedes Insekt seine Flügel verliert
Sag ihnen so
Indem du nicht mit ihnen sprichst
Dass der Tod dem Lebendigen eingeboren ist
Dass das Dunkel wahrhaftiger ist als das Licht
Weil es immer da ist
Selbst wenn das Licht darauf Märchen erfindet
Sag ihnen so
Dass der Regen ausbleibt, bis er alles ertränkt
Und der liebliche Wind sich zur Kralle formt, die Häuser zerreißt
Und dass Lachen viel schneller vergeht als das Weinen
Das allen Stolz zerfließen lässt
Und Liebe im Laufe der Zeit zu Verachtung zerbebt
Geh hinunter
Zu den Menschen
Und sprich nicht mit ihnen
Und sag ihnen so
Dass in den Überlieferungen der Berge
Kein Raum ist für Dörfer noch Städte
Noch Straßen und Brücken
Noch einen Palast
Alles wird stauben
Alles zertreten
Lasst euren Glauben
Lasst ab vom Beten
Nehmt euch den Schmerz und den Unrat zum Kleid
Und jammert wehklagend das Los namens Leid.«
Der Barbar stand vor ihm mit der Axt in der Hand. Die kupferfarbene Klinge lag bereits auf dem Höhlengrund auf, so sehr hatte das Gedicht ihn ermüdet. Er dachte nach und rieb sich dabei mit dem Handballen die Augenbrauen. Vor zwei Jahren hatte er mal jemanden am Leben gelassen, den er als ungefährlich und bezwungen betrachtet hatte. Dieser Jemand hatte ihm zwei Kopfgeldjäger hinterhergeschickt, von denen er den einen noch immer nicht endgültig abgeschüttelt hatte. Nur ein toter Gegner konnte auf keinen Fall mehr Ärger machen. Die Frage war nur, ob der Alte überhaupt ein Gegner war. Womöglich hatte er sich den Gottesmännern nur aus Mangel an anderen Gelegenheiten angeschlossen und war keinen Deut
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