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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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von der Klinge lostrat. Dieses unhandliche Gerät verursachte Erschreckendes, war jedoch in seiner Behäbigkeit ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Er schaffte es gerade noch, einem der drei auf ihn Eindringenden die Axt von der Seite her tief in den Leib zu treiben, dann musste er schon einen Satz nach hinten machen, um nicht den kleineren Handbeilen der Angreifer zum Opfer zu fallen. Im Springen zog er sein Schwert und nahm damit den ersten Angreifer auf wie eine Kastanie, die man zum Rösten auf einen Spieß steckt. Der Mann brüllte ihm Unverständliches ins Gesicht, das Geschrei brach sich vielfach in der rauchigen Höhle, und der Barbar konnte sich nicht erinnern, jemals einen Sterbenden so laut schreien gehört zu haben. Er bekam ihn nicht vom Schwert herunter, so drang schon der Vorletzte auf ihn ein.
    Diesmal rettete ihn der Helm des Gottes. An den kompliziert gedrechselten Hörnern verfing sich der Hieb des Gottesmannes, und dem Barbar gelang es sogar, diesen mit einem der Hörner in einem Kopfvorstoß zu ritzen. Gleichzeitig schüttelte er den immer noch ohrenbetäubend Krakeelenden ab und setzte dem in seinen Bewegungsabläufen aus dem Rhythmus gekommenen Angreifer hinterher. Nach zwei wuchtigen Streichen lag dieser verschnitten am Boden. Der Älteste aß weiterhin, und der Schreiende gellte noch immer, dass es kaum auszuhalten war. Vielleicht hatte er ihm irgendeine Körperstelle durchbohrt, die ihn zum unaufhörlichen Brüllen zwang. Als wäre der Mensch ein Gefäß, aus dem alles hinausmuss. Er hielt es für angebrachter, die kupferblutige Axt zu benutzen, um Ruhe zu schaffen. Das tat er dann auch.
    Er riss sich den Helm vom Kopf und schnappte den würzigen Rauch. Obwohl der Helm ihm das Leben gerettet hatte, hatte er darunter kaum atmen und sehen können.
    Der Alte blickte ihm von unten herauf entgegen. Sein Gesicht war von lebenslanger Zügellosigkeit zerfurcht. Aber er lächelte. Ein dünnlippiges Lächeln, das keine Illusionen kannte.
    Der Alte legte seine nur halb abgenagte Bratenkeule beiseite und sagte etwas mit klarer, sogar schneidender Stimme, in einer Sprache, die dem Barbaren sehr vertraut war. Er sagte:
     
    »Geh hinunter
    Zu den Menschen
    Und sprich nicht mit ihnen
    Und sag ihnen so
    Dass ihre Vorfreude über das Unglück der anderen
    Verfrüht ist
    Dass die Jugend gebeugt werden will
    Und das Alter kindisch wird statt weise
    Dass ihre Nachkommen, zart und rosa noch im Augenblick
    Vergewaltigen werden, wenn sie erwachsen
    Oder vergewaltigt werden, noch bevor sie verstehen
    Geh hinunter
    Und sprich nicht mit ihnen
    Und sag ihnen so
    Dass jeder Sommer nur ein flüchtiges Brennen ist
    Im ewigwährenden Festkrallen des Winters in den Bergen
    Dass kein Vogel sich endlos im Flug halten darf
    Und kein Fisch schwimmen kann, ohne zu ertrinken
    Dass keine Blume unverwelkt durchs Jahr kann leuchten
    Und jedes Insekt seine Flügel verliert
    Sag ihnen so
    Indem du nicht mit ihnen sprichst
    Dass der Tod dem Lebendigen eingeboren ist
    Dass das Dunkel wahrhaftiger ist als das Licht
    Weil es immer da ist
    Selbst wenn das Licht darauf Märchen erfindet
    Sag ihnen so
    Dass der Regen ausbleibt, bis er alles ertränkt
    Und der liebliche Wind sich zur Kralle formt, die Häuser zerreißt
    Und dass Lachen viel schneller vergeht als das Weinen
    Das allen Stolz zerfließen lässt
    Und Liebe im Laufe der Zeit zu Verachtung zerbebt
    Geh hinunter
    Zu den Menschen
    Und sprich nicht mit ihnen
    Und sag ihnen so
    Dass in den Überlieferungen der Berge
    Kein Raum ist für Dörfer noch Städte
    Noch Straßen und Brücken
    Noch einen Palast
    Alles wird stauben
    Alles zertreten
    Lasst euren Glauben
    Lasst ab vom Beten
    Nehmt euch den Schmerz und den Unrat zum Kleid
    Und jammert wehklagend das Los namens Leid.«
     
    Der Barbar stand vor ihm mit der Axt in der Hand. Die kupferfarbene Klinge lag bereits auf dem Höhlengrund auf, so sehr hatte das Gedicht ihn ermüdet. Er dachte nach und rieb sich dabei mit dem Handballen die Augenbrauen. Vor zwei Jahren hatte er mal jemanden am Leben gelassen, den er als ungefährlich und bezwungen betrachtet hatte. Dieser Jemand hatte ihm zwei Kopfgeldjäger hinterhergeschickt, von denen er den einen noch immer nicht endgültig abgeschüttelt hatte. Nur ein toter Gegner konnte auf keinen Fall mehr Ärger machen. Die Frage war nur, ob der Alte überhaupt ein Gegner war. Womöglich hatte er sich den Gottesmännern nur aus Mangel an anderen Gelegenheiten angeschlossen und war keinen Deut

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