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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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zurück. Schweigend, verzaubert schaute Bea in die Flammen.
»Wirst du mir das Geheimnis erzählen?« fragte ich schließlich.
Sie setzte sich auf einen der Stühle. Ich blieb dicht am Feuer sitzen und schaute zu, wie der Dampf aus meinen Kleidern aufstieg.
»Was du das Aldaya-Haus nennst, hat eigentlich einen richtigen Namen, nämlich Nebelburg, aber das weiß fast niemand. Seit fünfzehn Jahren versucht das Büro meines Vaters, diesen Besitz zu verkaufen, erfolglos. Als du mir neulich die Geschichte von Julián Carax und Penélope Aldaya erzählt hast, habe ich nicht weiter darauf geachtet. Später, am Abend zu Hause, ist mir einiges aufgegangen, und ich habe mich daran erinnert, daß ich meinen Vater einmal von der Familie Aldaya habe sprechen hören, und zwar von diesem Haus. Gestern bin ich in sein Büro gegangen, und sein Sekretär, Casasús, hat mir die Geschichte des Hauses erzählt. Hast du gewußt, daß das in Wirklichkeit gar nicht ihr offizieller Wohnsitz war, sondern eines ihrer Sommerhäuser?«
Ich verneinte.
»Das Haupthaus der Aldayas war ein Palast, der 1925 abgerissen wurde, um einem Mietshaus Platz zu machen, an der heutigen Kreuzung der Calle Bruch und der Calle Mallorca. Dieses Haus war im Auftrag des Großvaters von Penélope und Jorge, Simón Aldaya, 1896 von Puig i Cadafalch erbaut worden, als es dort nichts als Felder und Bewässerungskanäle gab. Die Nebelburg hingegen hatte der älteste Sohn des Patriarchen Simón, Don Ricardo Aldaya, in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts einem höchst pittoresken Mann abgekauft – zu einem Spottpreis, denn das Haus hatte einen üblen Ruf. Casasús meinte, es sei verflucht und nicht einmal die Verkäufer würden sich herwagen, um es zu zeigen, und sich unter irgendwelchen Vorwänden verdrücken …«
14
    Während ich mich aufwärmte, erzählte mir Bea, wie die Nebelburg in den Besitz der Familie Aldaya gelangt war. Es war eine Schauergeschichte, die ebensogut aus Julián Carax’ Feder hätte geflossen sein können. 1899/1900 war das Haus vom Architektenbüro Naulí, Martorell und Bergadà unter der Schirmherrschaft eines extravaganten katalanischen Financiers namens Salvador Jausà erbaut worden, der nur ein Jahr darin leben sollte. Bereits mit sechs Jahren Waise und aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte der Magnat sein Vermögen größtenteils in Kuba und Puerto Rico zusammengetragen. Aus der Neuen Welt brachte er aber nicht nur ein Vermögen mit: Er kam in Begleitung einer nordamerikanischen Gattin, einer blassen, zerbrechlichen jungen Dame aus Philadelphias vornehmer Gesellschaft, die kein Wort Spanisch sprach, und eines farbigen Dienstmädchens, das seit seinen ersten Kubajahren in seinem Dienst gestanden hatte und einen als Harlekin gekleideten Affen in einem Käfig sowie sieben Überseekoffer Gepäck mitführte. Bis zum Kauf eines Wohnsitzes, der dem Geschmack und Verlangen Jausàs entsprach, bezogen sie mehrere Zimmer im Hotel Colòn auf der Plaza de Cataluña.
    Niemand zweifelte daran, daß das Dienstmädchen – eine Schönheit aus Ebenholz mit einem Blick und einer Figur, die, wie es in den Gesellschaftsreportagen hieß, zu Herzjagen führten – seine Geliebte und Lehrmeisterin in unbeschreiblichen Vergnügungen war. Daß sie eine Hexe und Zauberin war, verstand sich ohnehin. Sie hieß Marisela, oder zumindest nannte Jausà sie so, und in Kürze wurden ihr Aussehen und ihr Verhalten zum Lieblingsärgernis der Gesellschaften, die die Damen aus gutem Hause gaben, um Baisers zu kosten und die Zeit und die herbstliche Hitze totzuschlagen. Gerüchte machten die Runde, wonach es diese Afrikanerin auf dem Manne sitzend mit diesem trieb, ihn reitend wie ein brünstiges Weib, was gegen mindestens fünf Todsünden verstieß. Um das Maß vollzumachen, hatte Jausà auch noch die Unverfrorenheit, jeweils am Sonntagvormittag mit seiner Gattin und Marisela in seinem Wagen spazierenzufahren und so der Jugend auf dem Paseo de Gracia unterwegs zur Elf-Uhr-Messe ein Schauspiel des Sittenverfalls zu bieten.
    Zu jener Zeit war Barcelona schon vom Jugendstilfieber erfaßt, aber Jausà gab den für den Bau seiner neuen Bleibe angeheuerten Architekten unmißverständlich zu verstehen, daß er etwas anderes wollte. Anders war das bevorzugte Adjektiv seines Vokabulars. Er war jahrelang an der Reihe neugotischer Villen vorüberspaziert, die sich die Magnaten des Industriezeitalters in der Fünften Avenue zwischen der 58. und der 72. Straße auf der Ostseite

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