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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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bleich und verwirrt wiederauftauchte, sagte der Junge, er sei die ganze Zeit in der Bibliothek gewesen, in Gesellschaft der geheimnisvollen farbigen Frau, die ihm alte Fotos gezeigt und ihm gesagt habe, sämtliche Frauen der Familie müßten in diesem Haus sterben, um die Sünden ihrer Männer zu sühnen. Sie enthüllte dem kleinen Jorge sogar den Todestag seiner Mutter: der 12 . April 1921. Im Morgengrauen des 12. April 1921 wurde Señora Aldaya entseelt im Bett ihres Schlafzimmers aufgefunden.
    Eine Woche später beschloß Don Ricardo Aldaya, das Haus abzustoßen. Zu diesem Zeitpunkt war sein Finanzimperium bereits todkrank, und einige Leute deuteten an, das sei alles die Schuld des verfluchten Hauses, das jedem Bewohner Unglück bringe. Vorsichtigere sagten nur, Aldaya habe die Veränderungen des Marktes nie verstanden und in seinem ganzen Leben nichts anderes getan, als das von Patriarch Simón aufgebaute Geschäft zu ruinieren. Ricardo Aldaya verkündete, er verlasse Barcelona und übersiedle mit seiner Familie nach Argentinien, wo es seinen Textilindustrien glänzend ging. Nach Ansicht vieler floh er vor dem Untergang und der Schmach.
    1922 wurde die Nebelburg für einen Spottpreis zum Verkauf angeboten. Anfänglich bestand ein großes Kaufinteresse, aber nach der Besichtigung des Hauses machte keiner der potentiellen Käufer eine Offerte. 1923 wurde es versiegelt. Das Eigentumsrecht ging auf eine Grundstücksgesellschaft über, der Aldaya Geld schuldete, damit sie den Verkauf oder den Abbruch in die Hand nähme oder sonst eine Lösung fände. Jahrelang stand das Haus zum Verkauf, ohne daß ein Käufer gefunden wurde. 1939 machte die besagte Gesellschaft Konkurs, als die beiden Teilhaber unter nie ganz geklärten Anschuldigungen ins Gefängnis kamen, und nach beider Tod 1940 wurde sie von einem Madrider Finanzkonsortium geschluckt, dem auch Señor Aguilar, der Vater von Tomás und Bea, angehörte. Trotz aller Bemühungen konnte keiner der in Señor Aguilars Diensten stehenden Verkäufer das Haus an den Mann bringen, nicht einmal zu einem weit unter dem Marktwert liegenden Preis. Über zehn Jahre lang betrat es niemand.
    »Bis heute«, sagte Bea und versank dann in einem Schweigen.
Mit der Zeit sollte ich mich an dieses plötzliche Schweigen gewöhnen und daran, daß sie sich mit verlorenem Blick und zurückgenommener Stimme einkapselte.
»Ich wollte dir diesen Ort zeigen, weißt du. Ich wollte dir eine Überraschung bereiten. Als ich Casasús zuhörte, dachte ich, ich müsse dich hierherbringen, das war schließlich Teil deiner Geschichte, der Geschichte von Carax und Penélope. Den Schlüssel habe ich mir im Büro meines Vaters ausgeliehen. Keiner weiß, daß wir hier sind. Es ist unser Geheimnis, und ich wollte es mit dir teilen. Ich habe mich gefragt, ob du kommen würdest.«
»Du hast es gewußt.«
Sie lächelte.
»Ich glaube, nichts geschieht aus Zufall. Im Grunde hat alles seinen geheimen Plan, auch wenn wir ihn nicht verstehen. Etwa, daß du im Friedhof der Vergessenen Bücher diesen Roman von Julián Carax gefunden hast oder daß wir beide jetzt hier sind, in diesem Haus, das den Aldayas gehört hat.«
Während sie sprach, hatte meine Hand ungeschickt nach ihrem Fußknöchel getastet und arbeitete sich nun zu ihrem Knie empor. Bea beobachtete sie, als wäre sie ein Insekt, das da hochgeklettert war. Ich fragte mich, was Fermín wohl in diesem Moment getan hätte. Wo war sein Wissen, wenn ich es am meisten brauchte?
»Tomás sagt, du hast nie eine Freundin gehabt«, sagte sie, als erklärte das alles.
Ich zog die Hand zurück und schaute besiegt zu Boden. Ich hatte das Gefühl, sie lächle, aber ich wagte nicht hinzuschauen.
»Für einen so verschwiegenen Menschen ist dein Bruder eine ziemliche Plaudertasche. Was sagt die Wochenschau denn sonst noch von mir?«
»Sie sagt, du seist jahrelang in eine Frau verliebt gewesen, die älter war als du, und dieses Erlebnis habe dir das Herz gebrochen.«
»Gebrochen ist nur eine Rippe und der Stolz.«
»Tomás sagt, du bist nie mehr mit einem Mädchen gegangen, weil du alle mit dieser Frau vergleichst.«
Der gute Tomás und seine versteckten Schläge.
»Ihr Name ist Clara«, sagte ich.
»Ich weiß. Clara Barceló.«
»Du kennst sie?«
»Alle kennen irgendeine Clara Barceló. Auf den Namen kommt es nicht an.«
Wir schwiegen eine Weile und schauten zu, wie das Feuer Funken sprühte.
»Nachdem ich dich gestern abend verlassen hatte, habe ich Pablo einen Brief

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