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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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Julián in den Augen des jungen Mädchens die Gewißheit zu lesen glaubte, daß beide dasselbe empfanden, daß dasselbe Geheimnis sie verzehrte. Niemand schien es zu beachten. Niemand außer Jacinta, die mit wachsender Unruhe das Blickspiel gedeihen sah, das Penélope und Julián im Schatten der Aldayas spielten. Sie fürchtete um sie.
    Damals hatte Julián schon begonnen, die Nächte wachend zu verbringen und von Mitternacht bis zum frühen Morgen Erzählungen zu schreiben. Danach suchte er unter irgendeinem Vorwand das Haus in der Avenida del Tibidabo auf und wartete auf den geeigneten Moment, um sich heimlich in Jacintas Zimmer zu schleichen und ihr die Blätter zu überreichen, damit sie sie dem Mädchen gäbe. Manchmal hatte Jacinta eine Mitteilung von Penélope für ihn, und er las sie Tag um Tag immer wieder. Dieses Spiel dauerte Monate. Julián unternahm alles Menschenmögliche, damit er in Penélopes Nähe sein konnte. Jacinta half ihm dabei, um Penélope glücklich zu sehen, um dieses Licht am Leuchten zu erhalten. Julián anderseits spürte, daß die Unschuld des Zufalls aus der Anfangszeit verflog und er Boden preisgeben mußte. So begann er Don Ricardo Aldaya über seine Pläne zu belügen, einen pappenen Enthusiasmus für eine Zukunft im Bank- und Finanzwesen vorzugaukeln, eine Zuneigung und Anhänglichkeit für Jorge Aldaya zu spielen, die er nicht empfand, nur um seine fast dauernde Anwesenheit im Haus in der Avenida del Tibidabo zu rechtfertigen. Er sagte nur noch das, von dem er wußte, daß die andern es von ihm hören wollten, las ihre Blicke und Wünsche, opferte die Aufrichtigkeit der Fahrlässigkeit, spürte, daß er stückweise seine Seele verkaufte, und fürchtete, daß, wenn er eines Tages tatsächlich um Penélopes Hand anhalten sollte, nichts mehr von dem Julián übrig wäre, der sie zum ersten Mal gesehen hatte. Manchmal erwachte er am Morgen und glühte vor Wut, begierig, der Welt seine wahren Gefühle zu offenbaren, vor Don Ricardo Aldaya hinzutreten und ihm zu sagen, er sei nicht im geringsten an seinem Geld, seinen Zukunftsarrangements und seiner Gesellschaft interessiert, er wünsche sich nur seine Tochter Penélope, um sie so weit wie möglich von dieser leeren Totenwelt, in der er sie gefangenhalte, wegzubringen. Mit dem Tageslicht schwand sein Mut.
    Gelegentlich sprach sich Julián bei Jacinta aus, die den Jungen allmählich lieber hatte, als ihr recht war. Oft trennte sie sich für kurze Zeit von Penélope und suchte unter dem Vorwand, Jorge von der San-Gabriel-Schule abzuholen, Julián auf, um ihm Botschaften von Penélope zu überbringen. So lernte sie Fernando Ramos kennen, der ihr Jahre später als einziger Freund noch bleiben sollte, als sie in der vom Engel Zacharias prophezeiten Santa-LucíaHölle auf den Tod wartete. Manchmal nahm sie Penélope mit und verschaffte so den beiden jungen Menschen eine kurze Begegnung; dabei sah sie zwischen ihnen eine Liebe wachsen, die ihr selbst versagt geblieben war.
    Damals wurde Jacinta auch auf die düstere, verwirrende Erscheinung des schweigsamen Burschen aufmerksam, der Francisco Javier hieß, der Sohn des Pförtners von San Gabriel. Sie ertappte ihn dabei, wie er sie ausspionierte, aus der Ferne ihre Bewegungen las und Penélope mit den Augen verschlang. Sie hatte ein Bild, das der offizielle Fotograf der Aldayas von Julián und Penélope im Eingang der Hutmacherei in der Ronda de San Antonio gemacht hatte. Es war ein unschuldiges, mittags in Anwesenheit von Don Ricardo und Sophie Carax aufgenommenes Bild. Jacinta hatte es immer bei sich. Als sie eines Tages am Ausgang der San-Gabriel-Schule auf Jorge wartete, vergaß sie neben dem Brunnen ihre Handtasche, und als sie sie holte, sah sie den jungen Fumero dort herumstreichen und sie nervös beobachten. An diesem Abend suchte sie das Bild, fand es nicht und hatte die Gewißheit, daß der Junge es ihr gestohlen hatte. Ein andermal, Wochen später, näherte sich ihr Francisco Javier Fumero und fragte sie, ob sie Penélope etwas von ihm zukommen lassen könne. Als sie fragte, was es sei, zog er aus der Tasche ein Tuch mit etwas, was eine Pinienholzschnitzerei zu sein schien. Jacinta erkannte in der Figur Penélope, und es schauderte sie. Bevor sie etwas sagen konnte, ging der Junge davon. Auf dem Heimweg warf Jacinta die Schnitzerei aus dem Wagenfenster, als wäre es stinkendes Aas. Mehr als einmal sollte sie frühmorgens erwachen, schweißüberströmt und von Alpträumen verfolgt, in

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