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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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denen sich dieser trübäugige Junge wie ein Insekt auf Penélope stürzte.
    An einigen Nachmittagen, wenn sie Jorge abholen ging und er sich verspätete, unterhielt sie sich mit Julián. Auch er begann diese Frau mit dem harten Gesicht zu lieben und ihr sein Vertrauen zu schenken. Wenn sich über seinem Leben irgendein Problem oder ein Schatten zusammenbraute, waren sie und Miquel Moliner bald die ersten – und manchmal die einzigen –, die es erfuhren. Einmal erzählte ihr Julián, er habe gesehen, wie sich im Hof mit den Brunnen seine Mutter und Don Ricardo Aldaya unterhalten hätten, während sie auf das Kommen der Schüler warteten. Don Ricardo schien sich an Sophies Gesellschaft zu ergötzen, und Julián empfand einen gewissen Kummer, denn er wußte, daß der Industrielle im Ruf eines Don Juan stand, dessen Appetit auf die Wonnen der Weiblichkeit, unabhängig von Stamm oder Stand, unersättlich war; nur seine Gattin schien dagegen immun zu sein.
    »Ich habe eben zu deiner Mutter gesagt, wie sehr dir deine neue Schule gefällt.«
Zum Abschied blinzelte Don Ricardo ihnen zu und ging dann laut lachend davon. Seine Mutter sagte auf dem Rückweg kein Wort, ganz offensichtlich beleidigt von den Bemerkungen, die Don Ricardo Aldaya zu ihr gemacht hatte.
Nicht nur Sophie sah argwöhnisch, wie er sich immer stärker an die Aldayas band und seine ehemaligen Freunde im Viertel und seine Familie vernachlässigte. Aber wo seine Mutter traurig schwieg, zeigte sein Vater Groll und Erbitterung. Die anfängliche Begeisterung, seine Kundschaft auf die Barceloneser Crème auszudehnen, war rasch verflogen. Er sah seinen Sohn fast nie, und bald mußte er Quimet, einen Burschen aus dem Viertel und ehemaligen Freund von Julián, als Gehilfen und Lehrling im Laden anstellen. Antoni Fortuny war ein Mann, der nur über Hüte offen sprechen konnte. Seine Gefühle schloß er monatelang tief in der Seele ein, bis sie unheilbar vergiftet waren. Mit jedem Tag war er übler gelaunt und reizbarer. Alles fand er schlecht, von den Bemühungen des armen Quimet, der sein Herzblut in das Erlernen des Berufes goß, bis zu der Neigung seiner Frau Sophie, dem Vergessen, zu dem Julián sie verdammt hatte, keine so große Bedeutung beizumessen.
»Dein Sohn hält sich für jemand Besonderes, weil ihn diese Geldsäcke wie einen Zirkusaffen halten«, sagte er düster.
Eines schönen Tages, als sich Don Ricardo Aldayas erster Besuch im Hutladen Fortuny & Söhne bald zum dritten Mal jährte, wurde der Hutmacher kurzerhand in den Büros des Aldaya-Imperiums auf dem Paseo de Gracia vorstellig und begehrte Don Ricardo zu sprechen.
»Und wen habe ich die Ehre anzukündigen?« fragte ein hochnäsiger Sekretär.
»Seinen persönlichen Hutmacher.«
Don Ricardo empfing ihn etwas überrascht, aber guter Dinge, im Glauben, Fortuny bringe ihm vielleicht eine Rechnung. Die kleinen Geschäftsleute werden das Protokoll des Geldes nie begreifen.
»Was kann ich denn für Sie tun, mein lieber Fortunato?«
Unverzüglich erklärte ihm Antoni Fortuny, Don Ricardo täusche sich sehr in Julián.
»Mein Sohn, Don Ricardo, ist nicht das, was Sie glauben. Ganz im Gegenteil, er ist ein unwissender, fauler Bursche ohne weiteres Talent als die Flausen, die ihm seine Mutter in den Kopf gesetzt hat. Er wird nie etwas erreichen, glauben Sie mir. Es fehlt ihm an Ehrgeiz und Charakter. Sie kennen ihn nicht, und er kann sehr geschickt sein, wenn es darum geht, Fremde einzuseifen, ihnen weiszumachen, daß er alles kann, aber er kann überhaupt nichts. Er ist ein Durchschnittsmensch. Ich jedoch kenne ihn besser als irgendwer und hielt es daher für nötig, Sie ins Bild zu setzen.«
Don Ricardo Aldaya hatte sich diesen Vortrag schweigend angehört und kaum dazu geblinzelt.
»Ist das alles, Fortunato?«
Der Industrielle drückte auf einen Knopf auf seinem Schreibtisch, und sogleich erschien in der Tür der Sekretär, der ihn empfangen hatte.
»Der liebe Fortunato möchte gehen, Balcells. Seien Sie so gut und begleiten Sie ihn zum Ausgang.«
Der eisige Ton des Industriellen sagte dem Hutmacher gar nicht zu.
»Mit Verlaub, Don Ricardo: Fortuny, nicht Fortunato.«
»Wie auch immer. Sie sind ein erbärmlicher Mensch, Fortuny. Ich würde es Ihnen danken, wenn Sie nicht mehr herkämen.«
Wieder auf der Straße, fühlte sich Fortuny einsamer denn je und war überzeugt, daß alle gegen ihn waren. Kurze Zeit später begann die vornehme Kundschaft, zu der ihm seine Beziehung zu Aldaya verholfen hatte,

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